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Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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401„Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? volks“ zu sein,68 war der Vorstellung eines Interessenausgleichs in der deutschen „Volksgemeinschaft“ verpflichtet.69 Diese sozialharmonische Sichtweise verschlei- erte die Konflikte zwischen den Interessen unterschiedlicher Gruppen der Gesell- schaft ; zugleich verwies sie aber auch auf eine Strategie, durch die solche Interes- senkonflikte zwar nicht ausgeglichen, jedoch eingedämmt wurden : das Erringen symbolischer Herrschaft.70 Selbst in diktatorischen Regimes wie dem National- sozialismus konnte die Führung ihren Führungsanspruch mit offener Gewaltan- drohung und -anwendung allein nicht nachhaltig durchsetzen. Die NS-Diktatur erforderte auch sanfte Gewalt, ein gewisses Maß an Anerkennung vonseiten des „(Land-)Volkes“  – dies umso mehr, als die Machthaber in den Monaten nach dem „Anschluss“ 1938 bestrebt waren, im zuvor christlichsozial dominierten Niederös- terreich ihren Führungsanspruch gegen das noch ungebrochene Ansehen katho- lisch-konservativer Eliten durchzusetzen.71 Bereits im Leitartikel der ersten Ausgabe des Wochenblatts im Mai 1938 kün- digte Anton Reinthaller neben anderen Neuerungen auch die „Entschuldung der österreichischen Landwirtschaft“ an.72 In dieser Ansage werden Schulden unter- schiedlicher Art verrechnet : Zunächst entschuldet sie die materiell verschuldeten Bauern symbolisch, indem sie dem „System“ der österreichischen Regierungen vor 1938 die Schuld an der bäuerlichen Misere anlastet. Danach befreit sie die bäu- erlichen Schuldner durch die „Entschuldung“  – faktisch eine Umschuldung von mehreren Einzelgläubigern zum Deutschen Reich als Alleingläubiger  – aus der materiellen Abhängigkeit. Sodann verlangt sie für die materielle Gabe der Ent- schuldungs- und Aufbaumittel eine symbolische Gegengabe der Bauern. Schließ- lich münzt die „Allgemeinheit“ als Gläubiger die symbolische Schuld der „Land- wirtschaft“  – deren „Dank“  – in eine materielle  – die „Leistungssteigerung in der Erzeugungsschlacht“  – um. Kurz, die Bauern waren gefangen in einer Schuldenspi- rale, in der der NS-Staat an die Stelle der ehemaligen Gläubiger trat. Der NS-Staat akkumulierte aus der Verschuldung des vergangenen „Systems“ und der „Entschul- dung“ der Bauern symbolisches Kapital, das wiederum zur Akkumulation materi- ellen Kapitals im Rahmen der Produktionskampagne diente. Der Diskurs des Wochenblatts über „Entschuldung“ und „Aufbau“ in den Fol- gemonaten war durch eine Doppelstrategie gekennzeichnet : Einerseits wird die Ansage Reinthallers vom Mai teils im nüchternen Juristenjargon, teils in hitzi- ger Kampfrhetorik mehrfach wiederholt, bekräftigt und detailliert. Andererseits kommen verschiedene Standpunkte des „Landvolkes“ als positive oder negative Subjektpositionen zur Sprache.73 Bei allen Unterschieden war den Artikeln zwi- schen Mai und Oktober gemein, dass sie auf eine Reihe horizontaler und verti- kaler Auseinandersetzungen  – sowohl innerhalb der ländlichen Gesellschaft als auch zwischen „Landvolk“ und „Führung“  – verwiesen. Diese Debatten kreisten
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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