Page - 424 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 424 -
Text of the Page - 424 -
424 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
richtungen zeitgerecht, in seiner äußeren Gestaltung dagegen möglichst zeitlos
sein“.146
Inwieweit das Ideal, Tradition und Moderne harmonisch zu verbinden, in der
Realität umgesetzt wurde, lässt sich an einer groß angelegten Hilfsaktion der Land-
stelle nach einer Hochwasserkatastrophe im AGB Matzen 1941, von der auch Au-
ersthal betroffen war, erkunden. Die nach ungewöhnlich heftigen Wolkenbrüchen
von den Hängen herabströmenden Wassermassen überschwemmten die geschlos-
sene Dorfsiedlung, beschädigten die großteils aus ungebrannten Lehmziegeln er-
bauten Wohn- und Wirtschaftsgebäude und brachten einige davon zum Einsturz.
Beim Wiederaufbau durch die Landstelle Wien wurde erstmals das Problem der
„Dorfauflockerung“ angegangen :
„Einzelne Hofstellen lebensfähiger Betriebe, die zufolge völliger Zerstörung neu
aufgebaut werden mußten, waren so beengt, daß ein Aufbau im alten Umfang be-
triebswirtschaftlich nicht zu vertreten gewesen wäre. Durch Zusammenlegung der
wiederaufzubauenden Hofstelle mit einer oder sogar mit beiden Nachbarhofstellen
wurde die erforderliche Bau- und Hoffläche erreicht. Durch diese Maßnahme ergab
sich andererseits die Notwendigkeit, für die weichenden Betriebsstätten neue Hof-
stellen zu schaffen, die außerhalb des geschlossenen Dorfgebietes angelegt wurden.
Ebenso wurden auch die Baustellen für die Kleinlandwirte und Landarbeiter aus
dem beengten Dorfverband herausgenommen und am Rande der Ortschaft ange-
ordnet.“147
Unter Einsatz von etwa einer Million Reichsmark wurden in Auersthal und zwei
benachbarten Gemeinden zehn Erbhöfe, zwölf Kleinlandwirt- und acht Landar-
beiterhäuser in „zweckentsprechender Bauweise“ und unter „Berücksichtigung des
Dorfbildes“ errichtet.148 Heinz Haushofer, Leiter der Landwirtschaftsabteilung
der Behörde des Reichsstatthalters in Niederdonau, wertete dieses Aufbauprojekt
als Musterbeispiel für eine „Bereinigung der verschachtelten Betriebsverhältnisse,
um wieder lebensfähige Höfe herzustellen“.149 Die Herauslösung einzelner Ge-
höfte aus dem verdichteten Häuserverband und deren Platzierung am Dorfrand
nach betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien signalisierten die Abkehr vom bis-
herigen Pfad der Siedlungsentwicklung ; damit bildete die „Dorfauflockerung“ ein
Vorzeichen der ländlichen „Zersiedelung“ in der Nachkriegszeit.
Deutlichere Unterschiede der Verteilung der Aufbaumittel als zwischen den
Regionen bestanden innerhalb derselben Region zwischen Betrieben unterschied-
licher Größe : Die Aufwendungen für die Mechanisierung nahmen mit steigender
Betriebsgröße tendenziell zu ; nur Mank folgte der umgekehrten Tendenz. Da-
rin wurden die Skaleneffekte der Mechanisierung wirksam : Großmaschinen wie
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937