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428 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
klar aus : 44 Betriebe oder 43 Prozent der Gesamtheit verbuchten eine Verringe-
rung, 58 Betriebe oder 57 Prozent eine Steigerung des Schuldenstandes (Tabelle
5.13). Nach Gemeinden ergeben sich deutliche Unterschiede : In Heidenreichstein
und St. Leonhard am Forst waren die Betriebe mit verringerten Schuldenständen
in der Mehrheit ; in Auersthal – hier verzeichnete allein ein Drittel der Betriebe
einen Schuldenzuwachs von mehr als 2.000 Reichsmark – und Frankenfels über-
wogen die Neuverschuldungen. Nach Betriebsgrößen betrachtet verzeichneten alle
Betriebsgrößen in Auersthal, die kleineren und mittleren Betriebe in Frankenfels,
die größeren Betriebe in Heidenreichstein sowie die mittleren Betriebe in St. Le-
onhard am Forst erhebliche Schuldenzuwächse (Tabelle 5.14). Unter Einrechnung
der reinen Aufbaubetriebe würde diese Bilanz noch deutlicher in Richtung Neu-
verschuldung kippen.
Um die vier Lokal- und Regionalstudien in überregionale Zusammenhänge
einzubetten, ziehen wir einen Vergleich mit der zeitgenössischen Untersuchung
zu den Kreditgrundlagen der bäuerlichen Betriebe der Ostmark für 1939 von Walter
Lechler im Auftrag des REM.157 Die Studie erhob für 481 Entschuldungsbetriebe
in Niederdonau die wesentlichen Kennzahlen nach Produktionsgebieten ; für den
Vergleich dienen das Alpengebiet für die Region Kirchberg an der Pielach, das
Waldviertel für die Region Litschau, die Westbahnstrecke für die Region Mank
und das Flach- und Hügelland mit Weinbau für die Region Matzen (Tabelle
5.15). Hinsichtlich der Höhe der Kapitalschulden nach Gemeinden lagen Au-
ersthal knapp und Frankenfels erheblich unter, Heidenreichstein beträchtlich und
St. Leonhard am Forst knapp über den Studienergebnissen. Die Aufbaumittel
nach AGB betrugen in Kirchberg an der Pielach das Dreifache, in Litschau und
Matzen mehr als das Doppelte und in Mank das Doppelte. Die Verwendung
der Aufbaumittel in den vier Untersuchungsregionen, etwa das Übergewicht der
Gebäudekosten, entspricht grob den Studienergebnissen. Das Verhältnis der De-
ckungsmittel stimmt für die Regionen Kirchberg an der Pielach und Matzen prä-
zise mit den Werten der Studie überein ; der Anteil der Zuschüsse lag in Litschau
merklich darunter, in Mank darüber. Die Veränderung des Schuldenstandes nach
Gemeinden liegt betragsmäßig zwar durchwegs höher als nach Produktionsgebie-
ten ; die Grundtendenz – starke Neuverschuldung im Pannonischen Flach- und
Hügelland, geringe Schuldenzunahme oder -abnahme in den übrigen Produkti-
onsgebieten – stimmt jedoch überein. Alles in allem entsprechen die wichtigs-
ten Ergebnisse der Lokal- und Regionalstudien hochgradig den zeitgenössischen
Erhebungsergebnissen ; daher können sie ein erhebliches Maß an überregionaler
Geltung beanspruchen.
Diese Bilanz verdeutlicht den ambivalenten Charakter der „Entschuldung“ als
faktische Umschuldung und des „Aufbaus“ als faktische Neuverschuldung. Sahen
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937