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434 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
wurde als Auflage erteilt : „Um den Betrieb auf eine gesunde Grundlage zu brin-
gen ist Betreuung unbedingt notwendig.“ Erhebliche Darlehens-, Waren-, Lie-
feranten-, Honorar- und sonstige Schulden waren über die Jahre angefallen ; sie
mussten, offenbar wegen der geringen „Leistungsfähigkeit“ des Betriebes von 130
Reichsmark, zur Gänze abgelöst werden. Da keine Aufbaumaßnahmen vorgesehen
waren, verringerte sich der Schuldenstand um jene Nachlässe, die die Landstelle im
Entschuldungsverfahren erwirkt hatte.164
„Fortschrittlichkeit“, „Anspruchslosigkeit“, „Strebsamkeit“ und „Ungeschick-
lichkeit“ – treffender als in den Besichtigungsprotokollen der Beispielbetriebe
könnte der Stellenwert der wichtigsten Ausprägungen im Machtdispositiv der
Entschuldungs- und Aufbauaktion – der kreditfinanzierten Leistungsbetriebe, der
mäßig subventionierten Grenzbetriebe, der hoch subventionierten Aufbaubetriebe und
der nicht aufgebauten Betriebe – kaum auf den Punkt gebracht werden. Diese Zu-
schreibungen unterstreichen den differenzierten und differenzierenden Zug der
nationalsozialistischen Agrarförderungspolitik in der Ostmark, der – je nach regi-
onalen und betrieblichen Gegebenheiten
– mehr oder weniger Wirkung entfaltete.
Differenziert war die Entschuldungs- und Aufbauaktion insofern, als sie an un-
terschiedliche, ernährungswirtschaftlich-leistungsbezogene und bevölkerungspo-
litisch-umverteilende Momente der nationalsozialistischen Agrarpolitik geknüpft
war.165 Differenzierend wirkte die Entschuldungs- und Aufbauaktion insofern,
als sie den Betrieben nach Größen- und Leistungsmerkmalen unterschiedliche
Förderpakete zuwies. An den AGB Matzen und Kirchberg an der Pielach treten
diese Unterschiede prägnant hervor. In Matzener Flach- und Hügelland, wo eine
günstige natürliche und Verkehrslage bestand, wurde der betriebswirtschaftliche
Effizienzgrundsatz akzentuiert. Überdurchschnittlich leistungsfähige oder, in zeit-
genössischer Diktion, „lebensfähige“ Betriebe mit mittleren oder größeren Land-
ressourcen wurden großteils mit enormen Aufbaumitteln auf Kreditbasis gefördert.
Kleinere Betriebe mit unterdurchschnittlicher Leistungs- oder „Lebensfähigkeit“
wurden meist zwar entschuldet, erhielten aber wenige bis keine Aufbaumittel. Im
natur- und verkehrsräumlich ungünstig gelegenen Bergland um Kirchberg an der
Pielach wurde die „Leistungsfähigkeit“ mehr an außerökonomischen Gleichheits-
maßstäben oder, in zeitgenössischer Diktion, der „Lebenswertigkeit“ gemessen.
Auch hier war die Höhe der Aufbaumittel an die Betriebsgröße geknüpft, jedoch
weniger ungleich verteilt als in den übrigen Regionen ; zudem wurde der „Betriebs-
aufbau“ vorwiegend über Zuschüsse öffentlich subventioniert. Die Lösung des
bäuerlichen Verschuldungsproblems knüpfte sich im einen Fall eher an den staat-
lich gesteuerten Kreditmarkt, im anderen Fall eher an staatliche Umverteilungen.
Der differenzierte und differenzierende Einschnitt in die Agrarstruktur ent-
sprach nicht nur der Funktion der Entschuldungs- und Aufbauaktion, sondern
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937