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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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442 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ über deren ausgabenseitiges Übergewicht, die weitere Öffnung der „Preisschere“ folgten. Das bergbäuerliche Kaufkraft-, Verschuldungs-, Entlohnungs- und Ar- beitskraftproblem erzeugten über ihre Rückkoppelungseffekte eine Art Teufels- kreis  – das Bergbauern-Syndrom. Das Bergbauern-Syndrom wurde auf zwei eng miteinander verwobenen, doch getrennt beobachtbaren Ebenen wirksam : In der Gesellschaft formierte es sich als Zusammenhang von einander wechselseitig be- einflussenden Preisgefällen, Verschuldungsraten, Ertrags- und Einkommensunter- schieden und Migrationsbewegungen. Im Diskurs nahm es in Form dramatisie- render  – teils pathologisierender, teils militarisierender  – Metaphern Gestalt an. Was die Wirkmächtigkeit des Bergbauern-Syndroms ausmachte, war vor allem die Wechselbeziehung dieser beiden Ebenen  – der Realitätseffekt des Gedachten, Ge- sprochenen und Geschriebenen.185 Bereits in der vergleichsweise nüchternen Wissenschaftssprache der zuvor er- läuterten Studie war die Rede vom Unvermögen der „Systemregierung“, die berg- bäuerliche Wirtschaft „auf eine gesündere Basis zu stellen“,186 vom „Bergbauern“ als einem „Vorposten im Kampf um Ernährung und Leben seines Volkes“.187 Voll- ends zur Entfaltung kam die pathologisierende und militarisierende Metaphorik des Bergbauern-Syndroms in der populären Agrarpresse, etwa im Wochenblatt der Landesbauernschaft Donauland auf regionaler Ebene und in der Nationalsozialisti- schen Landpost, dem Blatt des Reichsamts für Agrarpolitik der NSDAP, auf über- regionaler Ebene. Dabei wurden die harte Arbeit und das karge Leben auf den al- pinen Steilhängen propagandistisch in Dienst genommen. Neben dem Text wurde vermehrt die Fotografie  – von den Blattmachern als authentisches Abbild der Re- alität codiert und nur für kritische Leser/-innen als Inszenierung decodierbar  – als Bedeutungsträger eingesetzt (Abbildung 5.16). Einer der Protagonisten der öffentlichen Bergbauern-Debatte in der Ostmark nach dem „Anschluss“ war Landwirtschaftsminister und Landesbauernführer Anton Reinthaller. So erläuterte er im Februar 1940 unter der Schlagzeile Ein kostbarer Schatz der Nation ausführlich seine Diagnose des Bergbauern-Syndroms und die daraus folgende Therapie. Gleichsam als Krankheitserreger erscheinen „li- beralkapitalistische Kreise“  – ein Synonym für ‚den Juden‘  –, die „im Bauern nur den Landwirt und Ökonomen, d. h. einen Produzenten und nichts weiter sahen und am Ende eines abgesteckten Weges an Stelle von Bauernhöfen rationalisierte, auf Maschinen- und Lohnarbeit abgestellte Getreidelatifundien bzw. Forst-, Jagd- und Großweidebetriebe wünschten“. Der liberalistisch-kapitalistische Weg, „un- sere gesamte Veredelungswirtschaft, unser Bauerntum und damit unsere politische Freiheit und die rassische Grundlage der Nation dieser Entwicklung zum Opfer zu bringen“, sei durch die „nationalsozialistische Revolution“ gestoppt und ent- sprechend den ernährungs- und rassenpolitischen Zielen umgeleitet worden. Die
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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