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467„Aufrüstung“
in den Bergen
des Kriegsgefangenenlagers geliefert, Fuhrwerksdiente für den Güterwegebau
geleistet, die bäuerlichen Gemeinschaftsarbeiten koordiniert, knapp 100 sow-
jetische Kriegsgefangene beim Güterwegebau und auf Einzelhöfen eingesetzt
und rassenbiologische Bestandserhebungen an der bäuerlichen Bevölkerung
durchgeführt. Der Bereich „Agrartechnik“ verzeichnete den begonnenen, aber
behördlich abgebrochenen Bau von zwei Güterwegen, die Fertigstellung von 41
elektrischen Netzanschlüssen, den Bau von zwei Lastenseilbahnen, die Ausar-
beitung von je zwei Entwässerungs- und Wasserversorgungsprojekten, die Be-
sorgung von 170 Tonnen Drainage- und zwei Tonnen Eisenrohren. Die Bilanz
im Bereich „Betriebswirtschaft“ umfasste Anbauversuche, Boden- und Viehun-
tersuchungen, den Einsatz von 2.000 Tonnen Kunstdünger sowie vier Tonnen
Hochleistungssaatgut, die Ausweitung der Kartoffelanbaufläche, den Anbau von
Ackersenf als Zwischenfrucht, die Vorbereitung der Mähweidewirtschaft durch
Drahtbestellung, die Propagierung der Gärfutterbereitung, die Gründung eines
Bullenhaltungsvereins, die Pflanzung von 1.500 Obstbäumen und die Bestel-
lung weiterer 2.000, den Einsatz von 177 landwirtschaftlichen Maschinen sowie
hauswirtschaftliche Maßnahmen wie Gemüseverwendung, Kinderpflege und das
Eindosen von Fleisch.246
Die beiden von Brauner angesprochenen, von außen und innen her aufgetrete-
nen Steuerungsprobleme verdienen mehr Aufmerksamkeit. Äußere Beschränkun-
gen des „Gemeinschaftsaufbaus“ wurden am Entzug bereits vorhandener sowie an
der Verweigerung beantragter Ressourcen durch übergeordnete Behörden offen-
kundig. So etwa scheiterte die Errichtung der projektierten Wasserleitungen an
der fehlenden Genehmigung der erforderlichen Eisenmengen durch das Reichs-
kuratorium für Technik in der Landwirtschaft. Geplante Neu- und Umbauten von
Wohn- und Wirtschaftsgebäuden mussten mangels Bewilligung von Arbeitskräf-
ten durch das Arbeitsamt zurückgestellt werden. Die Reichspostdirektion lehnte
die Telefonanbindung der Ortsbauernführer der einzelnen Katastralgemeinden ab.
Eine einschneidende Beschränkung bedeutete der von Reichsminister Albert Speer
als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen im Mai 1942 angeordnete
Baustopp für Güterwege, den Schwerpunkt der agrartechnischen Maßnahmen.247
Für die Arbeiten am Güterwegebau hatte die Agrarbezirksbehörde bereits in der
zweiten Jahreshälfte 1941 französische und, an deren Stelle, serbische Kriegsge-
fangene in Ybbsitz eingesetzt. Nachdem die Kriegsgefangenen über die Winter-
monate abgezogen worden waren, erwirkte Brauner im März 1942 die Zuteilung
von etwa 90 sowjetischen Kriegsgefangenen, die den Hungerwinter 1941/42 in den
Wehrmachtslagern überlebt hatten.248 Die Kriegsgefangenen hausten in einem Ba-
rackenlager, für dessen Errichtung die Aufbaugemeinschaft Bauholz aufgebracht
hatte.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937