Page - 501 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 501 -
Text of the Page - 501 -
501Das
agronomische Expertensystem
nomischen und agrarpolitischen Fragen in der Presse und referierten bei Fachta-
gungen der Landesbauernschaft Donauland. Die beiden Professoren, die unterei-
nander das „engste fachliche und persönliche Verhältnis“31 unterhielten, besetzten
innerhalb des organisatorischen Netzwerks der Agrarforschung in der Landesbau-
ernschaft Donauland wichtige Brückenfunktionen zwischen Wissenschaftssystem
und politisch-ökonomischem System. Im Widerspruch zur entlastenden Rede
über die „Tragikkomödie des Eingreifens der sogenannten ‚Großen Politik‘ in die
Agrarwissenschaften“ nach dem Krieg32 verkörperten gerade sie jene Multifunk-
tionäre, die politisch-ökonomische Interventionen in das agrarwissenschaftliche
Feld vermittelten.
Der Bereich „Boden und Pflanze“ war in der Landesbauernschaft Donauland
mit 23 Forschungsstätten, etwa drei Viertel davon in Wien, vertreten. Dazu kamen
17 Versuchswirtschaften und -felder, die überwiegend in Nieder- und Oberdonau
lagen.33 Gemessen am Personalstand verfügten die Landwirtschaftlich-Chemi-
schen Versuchsanstalten in Wien und Linz über die meisten Ressourcen. Die 1869
gegründete Wiener Anstalt unter der Leitung von Josef Scholz widmete sich allen
Gebieten der Agrikulturchemie. Sie unternahm neben Untersuchungen (Boden-
kunde, Pflanzenernährung, Düngung usw.) auch Kontrolltätigkeiten (Dünge- und
Futtermittel, Milch und Molkereiprodukte, Wein usw.), einschließlich Betriebs-
kontrollen und Beratungen. Zudem lief eine Reihe an Düngungs-, Fütterungs-
und Konservierungsversuchen.34 Ähnlich stellte sich das Tätigkeitsfeld der 1910
gegründeten Linzer Anstalt unter der Leitung von Heinrich L. Werneck dar.35
Die beiden Landwirtschaftlich-Chemischen Versuchsanstalten gehörten aufgrund
ihres Personalstandes wohl zu den leistungsfähigsten Organisationen im agrono-
mischen Expertensystem der Landesbauernschaft Donauland. Die Vorherrschaft
der Agrikulturchemie in Verbindung mit der chemischen Industrie über biologi-
sche Ansätze in den Agrarwissenschaften seit der Zwischenkriegszeit verstärkte
diese Machtposition.36 Ebenso reichlich mit Personalressourcen ausgestattet war
die 1880 gegründete Staatsanstalt für Pflanzenbau und Samenzüchtung unter der
Leitung von Emanuel Rogenhofer. Ihr Tätigkeitsbereich umfasste unter anderem
die Überwachung des Handels mit landwirtschaftlichen, gärtnerischen und forst-
lichen Sämereien, die Züchtung landwirtschaftlicher Kulturpflanzen, vor allem
von Getreide, Sojabohnen, Gräsern und anderen Futterpflanzen, und die Durch-
führung pflanzenbaulicher Versuche und Beratungen. Die Anstalt verfügte über
mehrere Versuchsfelder in unterschiedlichen naturräumlichen Bedingungen.37 Zu
den größeren Forschungsstätten zählte auch die 1895 gegründete Versuchs- und
Forschungsanstalt für Gartenbau in Eisgrub unter der kommissarischen Leitung
von Albert Stummer, die sich auf den Feldgemüsebau konzentrierte und über eine
Gemüsekonservenfabrik verfügte.38 Eine ähnliche Größenordnung erreichte die
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937