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507Vordenker
des „Aufbaus“
1941 eine im Auftrag des REM erarbeitete Monographie über die Kreditgrund-
lagen der bäuerlichen Betriebe in der Ostmark. Die auf den Daten von Tausenden
Buchführungs- und Entschuldungsbetrieben sowie mehr als 100 Hofbesichtigun-
gen basierende Studie skizzierte ein nach Produktionsgebieten differenziertes In-
vestitionsprogramm für die potenziell als Erbhöfe geeigneten Bauernbetriebe der
Ostmark. Die Zwerg- und kleinbäuerlichen Betriebe unter fünf Hektar sowie die
Gutsbetriebe lagen außerhalb des Fokus der Planungsarbeit. Das vorrangige Inter-
esse des Autors galt dem Bergbauerngebiet. Zwar räumte er ein, dass die Rentabili-
tätsfrage im Bergbauerngebiet nachrangig sei ; dementsprechend argumentierte der
vom nordostdeutschen Flachland kommende Agrarfachmann mit bauerntums-
ideologisch verklärtem Blick, „daß die volkswirtschaftliche Leistung des Berghofes
nicht darin zu suchen ist, was an landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf den Markt
gebracht wird, sondern in der hohen Zahl gesunder Kinder, die die Bergbauernfrau
dem deutschen Volke schenkt und die auf den Höfen dank ihrer so besonderen
Welt zu stolzen und in sich gefestigten Menschen heranwächst“.68 Doch um den
Bergbauern nicht mittels Subventionen zum „ständigen Staatsrentner“ verkommen
zu lassen, müsse ihn der Staat durch die „totale Inangriffnahme“ des Bergbauern-
problems auf eine rentable Basis stellen.
Der für die Lösung des Bergbauernproblems erstellte Forderungskatalog um-
fasste eine breite Palette an betriebsübergreifenden Maßnahmen : Die Grund-
stückszersplitterung, die vor allem im westalpinen Realteilungsgebiet dramatische
Ausmaße angenommen habe, sei ein „absoluter Feind jeglicher Intensivierungs-
und Rationalisierungsabsicht“. Das REG sei hier infolge der geringen Flächen-
ausstattung der Höfe völlig wirkungslos ; daher seien neben der Durchführung von
Grundstückszusammenlegungen
– auch gegen den „Widerstand der Bauern“
– und
neben der Schaffung von Nebenerwerbsmöglichkeiten „durch Zusammenlegung
lebensunfähiger Höfe wieder tragfähige Arbeitsstellen für eine Bauernfamilie zu
schaffen“. Die Versumpfung der Gründe entlang der Flussläufe und die Nässe von
Wiesen und Äckern durch Quellwasser schmälere die betriebseigene Futterbasis
und damit die Intensität der Viehhaltung ; dies erfordere Flussregulierungen und
Wildbachverbauungen durch die öffentliche Hand sowie Grundstücksentwässe-
rungen auf betrieblicher oder genossenschaftlicher Basis. Die enorme Entfernung
vieler Berghöfe vom ausgebauten Wegenetz gehöre zu den „Wirtschaftserschwe-
rungen gewaltiger Art“ ; daher sei der Einsatz staatlicher Mittel für den Ausbau
der Güterwege erforderlich. Wo Güterwege aufgrund der Steillage nicht in Frage
kämen, müssten Seilbahnen für den Transport der Betriebsmittel auf den Berg
und der Erzeugnisse, vor allem der Milch, in das Tal mit staatlicher Unterstützung
errichtet werden. Zudem würden transportable Seilaufzüge auf den steilen Äckern
und Wiesen eine „wesentliche Arbeitsersparnis und Arbeitserleichterung“ bringen.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937