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511Vordenker
des „Aufbaus“
gen der nach dem „Anschluss“ rasant einsetzenden „Landflucht“ sei „den Aufbau-
maßnahmen der erhoffte Erfolg nicht beschieden“ gewesen. Daraus folge, „daß die
wechselseitigen Forderungen von Agrarpolitik und Landbau in der Ostmark zur Zeit
noch nicht so harmonisch aufeinander abgestimmt sind wie im Altreich [Hervorhebung
im Original]“. Die Lösung dieses Problems müsse nach den fünf wesentlichen Be-
triebsformen auf dem Gebiet der Ostmark differenziert erfolgen.76
Den Ackerwirtschaften im Osten Niederdonaus wurde ein hoher, fallweise an
das Altsreichsniveau heranreichender Intensitätsgrad zuerkannt. Betriebstypisch
waren die Dominanz des Ackerbaus, vor allem des Getreide- und Zuckerrübenbaus,
sowie die Mast- und Milchviehhaltung auf Basis von betriebseigenen Rübenabfäl-
len und Kraftfutterzulauf. Zu den agrarpolitischen Forderungen zählten erstens die
Erweiterung der Futterproduktion, vor allem des Anbaues von Winterzwischen-
früchten und deren Nachfrüchten ; zweitens die Verbesserung der Futterkonservie-
rung durch den Bau von Gärfutterbehältern ; drittens die Beschränkung des durch
die Preisverbilligung sprunghaft angestiegenen Handelsdüngereinsatzes auf ein
angemessenes Niveau sowie die Aufrechterhaltung eines für den Stalldüngerbedarf
ausreichenden Viehstandes ; viertens die Beibehaltung der regional angepassten
Getreidesorten – anstelle des Ersatzes durch Altreichssorten – sowie die Verbes-
serung des Kartoffelsaatgutes ; fünftens die Einschränkung des Kraftfutterzukaufs,
wobei eine gewisse Reduktion des Viehstandes in Kauf genommen werden müsse,
um die von den Ackerwirtschaften getragene Markterzeugung an Brotgetreide,
Zuckerrüben und anderen Ackerfrüchten nicht zu gefährden. Die betrieblichen
Forderungen an die Agrarpolitik umfassten erstens die Bereitstellung einer ausrei-
chenden Zahl an Saisonarbeitskräften, vor allem für die Mittel- und Großbetriebe ;
zweitens als Gegengewicht zur „fremdvölkischen“ Unterwanderung des „schutz-
bedürftigen Grenzraumes“ die weitgehende Mechanisierung der Ackerarbeiten ;
drittens die Verbesserung der durch Realteilung zersplitterten Grundstückslage im
Zuge von Kommassierungen sowie die Aufstockung von Kleinbetrieben auf „Min-
destackernahrungsgröße“ ; viertens in preismäßiger Hinsicht die Steigerung des
Kartoffel-, das Halten des Zuckerrüben- und Getreide- sowie das Senken des für
die Milch- und Mastviehhaltung wesentlichen Kraftfutter- und Kaufviehpreises.77
Die Acker-Graswirtschaften im Flach- und Hügelland im westlichen Nieder-
donau und in Oberdonau, in der südöstlichen Steiermark und Mittelkärnten sowie
in den breiteren Alpentälern mit ihrer „breit gelagerten, vielseitigen Betriebsstruk-
tur“ zeichneten sich durch „besondere Krisenfestigkeit“ aus. Dies habe zwar im
Verein mit „günstigen persönlichen Verhältnissen“ zu „einem gewissen bäuerli-
chen Wohlstand“ geführt ; die Grenze der Leistungsfähigkeit werde jedoch noch
zu selten erreicht. Gegenüber Getreide und Hackfrüchten traten das Feldfutter,
vor allem der Kleebau, und das Grünland hervor ; dies schuf die Basis für eine
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937