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515Vordenker
des „Aufbaus“
gleichen Gebiet nur die kleineren Betriebsklassen unter bäuerlicher Wirtschaftsform
zur Grundlage genommen werden. Immer größer werden jedoch die Gegensätze mit
steigernder Marktentfernung und Seehöhe. Wenn man schließlich auf einem Berg-
hof die arbeits- und leistungsökonomische Rückständigkeit gewahr wird, während
in der Ferne die rauchenden Schlote einer modernen Industrie oder über die Höhen
brausende Flugzeuge sichtbar sind, dann erscheint es unfaßlich, daß zur gleichen Zeit
so abgrundtiefe Gegensätze technischer Entwicklung auf engem Raum beisammen
stehen.“83
Bemerkenswerterweise wurden diese externe und internen Differenzen nicht vor-
rangig einer bäuerlichen „Rückständigkeit“ zugeschrieben ; die beiden Experten
sahen den Ansatzpunkt zur Problemlösung weniger in den personellen, als in den
strukturellen Bedingungen : der ungleichen Technisierung aufgrund des Betriebs-
größen- und Verkehrsproblems. Dieser Diagnose folgend lautete die Therapie, zu
kleine Betriebe auf die Größe einer „Ackernahrung“ aufzustocken und die durch
die Marktentfernung und Höhenlage bedingten Nachteile auszugleichen. Ersteres
lief tendenziell auf die Auflassung einer gewissen Zahl an nicht „lebensfähigen“
Betrieben hinaus ; Letzteres erforderte die Verkehrserschließung der peripher und
gebirgig gelegenen Höfe sowie die Erstattung der Transportkosten für Betriebs-
mittel und Markterzeugnisse.84 Während Lechler als Mittel zur Erreichung der
Ziels der Intensitätssteigerung, je nach regionalen Erfordernissen, auf den Kredit-
markt oder staatliche Kredite und Zuschüsse setzte, konzentrierte sich Löhr auf
eine größen- und standortbezogene Preisregelung als Steuerungsmechanismus :
„Der bis zum Zeitpunkt einheitliche Marktpreis muß derart gestuft werden, daß alle Höfe,
ob fern oder nah, groß oder klein, mit den gleichen Hofpreisen rechnen können. Der Ein-
fluß der Verkehrs- und Höhenlage auf die Wirtschaftsintensität wird demnach ebenso ni-
velliert werden müssen wie der Einfluß der Betriebsgröße auf die Arbeitsökonomik und auf
den Arbeitsertrag der bäuerlichen Betriebe. Erst nach Vollzug dieser lebensgesetzlichen
Neuordnung der Preise wird erwartet werden können, daß auch die verkehrsfernen
Gebiete unseres Landes an dem erwünschten Intensivierungsprozeß teilnehmen und
dem Bauerntum des Berglandes der Arbeitsertrag zukommt, den es um seine hohen
politischen Leistungen verdient [Hervorhebung im Original].“85
Diese Preisregelung wäre auf die weitgehende Ausschaltung der Faktoren Be-
triebsgröße, Marktentfernung und Höhenlage hinausgelaufen. Der utopische
Gehalt dieser Forderung, die – in bewährter nationalsozialistischer Planungsma-
nier
– auf die „künftige, friedensmäßige Entwicklung“ verschoben wurde, war dem
Autor zweifellos bewusst ; dennoch sah er einen vielversprechenden Ansatz zu ihrer
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937