Page - 531 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 531 -
Text of the Page - 531 -
531Bindeglied
zwischen Führung und „Landvolk“ ?
schlechten Bauern ? Ein Bauer schreibt uns, wir antworten.155 Wie die Aufklärungen
waren Appelle überwiegend von speziellen Betriebs- und Haushaltstätigkeiten ab-
gehoben ; wie die Anweisungen enthielten sie kaum explizite Begründungen. Sie
beanspruchten das höchste Maß an Verbindlichkeit, ließen dem Leser und der Le-
serin keine Wahl und propagierten ein striktes Entweder-Oder auf der Grundlage
einer verordneten Wirtschaftsmoral, die den „Gemeinnutz“ über den „Eigennutz“
stellte. Dementsprechend wurden Werte wie Einsatzbereitschaft, Zusammenhalt
und Leistungswille propagiert : Können wir noch mehr leisten ? Die Antwort lautet :
ja !156
Das Wochenblatt sollte nach den Bekundungen seiner Macher die „Aufgabe
eines Bindegliedes zwischen dem Bauernvolke und seiner Führung“157 erfüllen.
Die hauptsächlichen Schreibweisen – Anleitung, Argumentation, Aufklärung und
Appell – waren jedoch nur bedingt dazu geeignet, denn sie dienten vorrangig als
Sprachrohr der Führung. Damit wurde aber die bezweckte Einheit von Informa-
tion, Mitteilung und Verstehen unwahrscheinlicher, weil die mitgeteilten Informa-
tionen Gefahr liefen, das Verständnis der Leser/-innen, deren Eigensinn, zu ver-
fehlen. Gescheiterte Kommunikationsakte sind quellenmäßig schwierig zu fassen ;
Indizien dafür stellen Veränderungen von Form und Inhalt einer Zeitung dar, wie
sie im Wochenblatt 1939 an der Kolumne Jo des han i net gwißt … fassbar werden.
Ein für die Kolumne eigens entworfenes Sujet neben der Überschrift karikiert
holzschnittartig zwei ländliche „Typen“, einen Mann und eine Frau (Abbildung
6.5). Im jeweiligen Artikel, nicht länger als eine Viertelseite, entspinnt sich in di-
rekter Rede ein Dialog zwischen einem Bauern und einer Bäuerin. Der Dialog
wird in einem ostösterreichischen, stellenweise derben Dialekt geführt. Er dreht
sich um ein Problem aus dem bäuerlichen Erfahrungsbereich, zu dem der Prot-
agonist und die Protagonistin zunächst gegensätzliche Standpunkte einnehmen.
Im Lauf des Dialogs gelingt es einer Person, die andere von der Richtigkeit ihres
Standpunkts zu überzeugen. Schließlich löst sich der Gegensatz durch die Pointe :
„Jo des han i net gwißt“ – „ja das habe ich nicht gewusst“ – auf. Kurz, Aufklärung
als Bauernschwank.
Die ersten fünf Folgen der Kolumne widmeten sich verschiedenen Bereichen
bäuerlichen Arbeitens und Lebens : Die Autostraßen, Die Musterung, Der Sport, Die
Maschinenbestellung und Die Zahnpflege.158 In der sechsten Folge unter dem Titel
Wann mia zwoa redn mitanaunda … machte sich die Kolumne überraschend selbst
zum Thema :
„Bauer : Du, Bäuerin, hast es schon gehört ? Der Nachbar schimpft, dass mir zwoa
alleweil über Sachn redn und uns interhaltn, die was oans von uns zwoa net woaß. Das
Wochenblattl, das was an sölchan Dischkurs abdruckt, mag i nimmer, hat er gsagt.
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937