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536 Das „Landvolk“ und seine Meister
Hinsicht hing sie über den Transfer von Ressourcen mit der sozialen Umwelt der
sich entwickelnden Industriegesellschaft zusammen : Auf der Faktorseite kamen
arbeits- und landsparende Technologien zum Einsatz, die auf der Produktions-
seite steigende Erträge zur Vermarktung via Lebensmittelindustrie und -konsum
ermöglichten ; dabei verschlechterten sich für die Landwirtschaftsbetriebe tenden-
ziell die „Preisschere“ zwischen industriellen Inputs und agrarischen Outputs.170
Beide Momente kulminierten, verschärft durch die kriegsbedingte Dynamik, in
der Landesbauernschaft Donauland 1940 offenbar für viele bäuerliche Betriebe zu
einem Existenzproblem.
Doch jenseits der Problembeschreibung zielte die Rede auch auf dessen Lösung ;
dementsprechend alarmistisch klang ihr Ton : Ohne eine grundsätzliche Problem-
lösung stehe der „Untergang des Bauerntums“ – und damit von Staat und „Volk“ –
bevor. Nachdem groß angelegte Maßnahmen wie Preiserhöhungen, Prämien oder
Stützungen erörtert worden waren, kam die Rede auf die „Abhilfe im Kleinen“, die
Arbeit der Landesbauernschaft im Allgemeinen und der Wirtschaftsberater im
Besonderen :
„Sie wissen ja selbst, wie viel noch zu tun ist bei den einzelnen Betrieben auf dem
Gebiet der richtigen Fütterung und Tierhaltung, der richtigen Fruchtfolge, der rich-
tigen Düngung und Düngerbehandlung usf. usw. Da sind Aufgaben, wo mit geringen
Mitteln vieles zu erreichen ist ; ich bedaure es außerordentlich, daß Ihnen infolge des
gegenwärtigen Papierkrieges zu wenig Zeit bleibt, sich diesen wichtigen Aufgaben der
Wirtschaftsberatung voll zu widmen. Die einzelnen Vorträge der Tagung werden eine
Reihe von diesen Gebieten aufgreifen ; ich möchte in diesem Zusammenhang ganz
kurz auf den Hauptzweck der hiesigen Tagung hinweisen : Sie sollen von hier nach
Hause gehen mit der Ueberzeugung, daß Sie nicht auf verlorenem Posten, sondern
in der vordersten Front des weltgeschichtlichen Entscheidungskampfes stehen. Sie
sollen durch Weitung des Blickes und durch inneren Zusammenschluß Ihrer Reihen
neue Kraft für Ihre Arbeit finden und Sie sollen aus dieser Einstellung heraus auch
den Bauern wieder neuen Mut und neue Kraft bringen.“171
Die Rede nahm den Wirtschaftsberater als Soldaten der „Erzeugungsschlacht“
in die Pflicht. Sie wandte den offensichtlichen Widerspruch zwischen Programm
und Wirklichkeit, die ökonomischen und moralischen Defizite der bäuerlichen
Betriebsleiter/-innen, vom Negativen ins Positive, um daraus einen Ansporn zur
alltäglichen Wirtschaftsberatung vor Ort zu formen. Die Lösung der Probleme
rückte, angesichts der Zwänge der Kriegsführung, in die Zeit nach dem „End-
sieg“. Auf diese Weise suchte der Appell des Landeshauptabteilungsleiters an die
Wirtschaftsberater die Kluft zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937