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541Wirtschaftsberatung
vor Ort
„Nun ist die Auswahl unter den derzeitigen Verhältnissen sehr schwer. Bauern, die
eine landwirtschaftliche Schule besucht haben, gibt es verhältnismäßig noch wenig.
Die jüngeren Bauern sind zum großen Teil eingerückt. Andere nehmen sich nicht
Zeit und haben auch nicht Zeit, da ihnen zur Bewirtschaftung der eigenen Wirtschaft
die Arbeitskräfte fehlen. Wieder andere sind politisch untragbar und fachlich in Ord-
nung. Andere sind politisch in Ordnung, aber fachlich nicht. Jene Bauern, die uns
nun in einer Ortschaft übrig bleiben, sind nur in geringster Zahl, vielleicht überhaupt
noch nicht vorhanden. Die Landesbauernschaft steht wohl auf dem Standpunkt, daß
in erster Linie das fachliche Wissen und Können bei der Beurteilung maßgebend ist ;
ich stehe wohl auch auf diesem Standpunkt, aber nicht immer der Ortsgruppenleiter
und nicht immer die Kreisleitung.“190
Neben Militärdienst und Arbeitskräftemangel wird hier die Spannung zwischen
ernährungswirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten, vertreten
durch Reichsnährstands- und NSDAP-Funktionäre, offenkundig. Jedenfalls werde
es, so der Beratungsleiter, unter diesen Umständen noch „Jahre dauern, bis wir hier
den Apparat so laufen haben, wie wir ihn brauchen“.191
Selbst dann, wenn geeignete Kandidaten als Hofberater ausgewählt wurden,
bestand noch keine Erfolgsgarantie. Einerseits müssten die Hofberater geschult
werden ; dabei sei darauf zu achten, dass nicht zu viele, jedoch auf ein bestimmtes
Produktionsgebiet beschränkte Inhalte pro Schulungseinheit vermittelt werden.
Andererseits sollten sie sich, ebenso wie die Ortsbauernführer, gegenüber der Ge-
meindeöffentlichkeit als Vorbilder erweisen :
„Wir haben im heurigen Jahr anlässlich unseres Außendienstes in den einzelnen
Ortschaften die Wirtschaften der Ortsbauernführer und Hofberater besichtigt und
diesen in stundenlangem Zusammensein entsprechende Wirtschaftsberatung erteilt.
Bei dieser Gelegenheit wurde zur Durchleuchtung des Betriebes ein Karteiblatt auf-
genommen, das alle für den Betreffenden als Ortsbauernführer oder Hofberater not-
wendigen Fragen enthält. […] jede Verbesserung auf dem Hof wird auch in der Kartei
wieder eingetragen. Nach einigen Jahren ergibt sich aus dem Karteibild schon allein,
ob der Mann aus fachlichen Gründen als Ortsbauernführer oder Hofberater weiter
zu belassen ist.“192
Die Fremddisziplinierung, die Hofberater und Ortsbauernführer ausübten, paarte
sich hier mit der Selbstdisziplinierung dieser „Zellen, von denen die Wirtschaftsbe-
ratung, die Wirtschaftsverbesserung ihren Ausgang zu nehmen hat“. Dabei räumte
der Reichsnährstand durchaus ein, dass dieser Anspruch in der gegenwärtigen Re-
alität noch nicht einlösbar sei : „Die Höfe unserer ehrenamtlichen Berater müssen
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937