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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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558 Das „Landvolk“ und seine Meister Inwiefern entsprach die diskursive Positionierung Leitners als Grenzgänger zwischen bäuerlicher und proletarischer Existenz seiner sozialen Position ? Um diese Frage zu beantworten, folgen wir zunächst der Betriebsbesichtigung durch Mitarbeiter der Landstelle Wien im September 1938. Damals gehörten zum Hof knapp 30 Hektar Grundbesitz, von denen zwei Drittel mit 30- bis 70-jährigem Buchen-, Fichten- und Erlenbestand bewaldet waren ; der Rest teilte sich in sechs Hektar Acker und vier Hektar Wiese auf. Der sandige, mit Steinen durchsetzte Lehmboden trug etwa einen Hektar Wintergetreide, hauptsächlich Roggen, und zwei Hektar Sommergetreide, in erster Linie Hafer. Eineinhalb Hektar wurden für Kartoffel-, Futterrüben- und Kleeanbau verwendet, ein halber Hektar diente als Wechselwiese, der Rest lag brach. Zum Besichtigungszeitpunkt standen vier Kühe, eine Kalbin, zwei Jungochsen, zwei Kälber, eine Zuchtsau, drei Läufer und ein Ferkel im Stall.246 Daneben tummelten sich acht Schafe, eine Ziege und 15 Hühner am Hof. Das in 850 Metern Seehöhe liegende Wohnhaus, aus Stein und Holz gebaut und mit Stroh gedeckt, befand sich in gutem Zustand. Rinder- und Schweinestall hingegen machten auf den Gutachter einen baufälligen Eindruck. Im Aufbauplan wurde daher neben dem Ankauf eines Ochsen und der Errich- tung von Düngersammelanlage und Jauchegrube der Neubau der Ställe vorgese- hen. Neben dem 1893 geborenen Leopold Leitner wurde der Hof von seiner 1891 geborenen Ehefrau Katharina und einer Tochter, Jahrgang 1921, bewirtschaftet ; zudem lebte die 1928 geborene Ziehtochter im Haus. Der in den 1930er Jahren zur Familie gehörende Ziehsohn scheint im Besichtigungsprotokoll nicht auf. Vor allem während der arbeitsintensiven Zeit der Ernte kamen zusätzliche Arbeits- kräfte im Ausmaß von etwa 45 Arbeitstagen zu Hilfe. Der Beamte errechnete in seinem Bericht eine jährliche „Leistungsfähigkeit“ von 120 Reichsmark. So viel blieb übrig, wenn man die Ausgaben von den Einnahmen, die zu fast zwei Drit- teln aus dem Rinderverkauf stammten, abzog. Auch wenn diese Rechnung die Aufbaumaßnahmen vorwegnahm und eine „ordnungsgemäße Wirtschaftsweise“ unterstellte, konnte sie nicht völlig aus der Luft gegriffen sein. Schließlich bemaß sie die jährliche Höchstlast der im Entschuldungs- und Aufbauplan vorgesehenen Tilgungs- und Zinszahlungen, die in diesem Fall 105 Reichsmark betrugen.247 Setzen wir das Hab und Gut der Leitner-Familie in Beziehung zum Besitz der übrigen Höfe in der Gemeinde. In einer Bergregion, in der die Höhenlagen der Gründe zwischen 500 und knapp 1.000 Metern schwankten, stellt die Betriebs- fläche ein wenig aussagekräftiges Maß der Betriebsgröße dar ; denn hochgelegene Gründe werfen aufgrund der kürzeren und kühleren Vegetationszeit weitaus weni- ger Ertrag ab als Talgründe. Der 1940 an Stelle des bisherigen Katastralreinertrags festgesetzte Einheitswert als Grundlage zur Bemessung der Grundsteuer sollte diese standortbedingten Ertragsschwankungen berücksichtigen.248 Die dabei auf-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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