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568 Das „Landvolk“ und seine Meister
tung der Betriebsleiter/-innen an Gewicht. Die Wirtschaftsberatung gliederte sich
nach den Formen in die Massen- und Einzelberatung, nach den Inhalten in die
allgemeine und Spezialberatung. Ob der organisierte Wissenstransfer eher der au-
toritären „Menschenführung“ oder paternalistischen Aufklärung folgte
– er bildete
ein zentrales Machtdispositiv des social engineering bäuerlicher Alltagswelten unter
der Regie des agronomischen Expertensystems.
Das Wochenblatt, das amtliche Zentralorgan der Massenberatung des Reichs-
nährstandes, suchte seine Deutungshoheit über eine paternalistische Patron-Kli-
entel-Logik zu vermitteln : Die Führung gibt dem „deutschen Landvolk“ die ihm
gebührende Ehre, woraufhin das „deutsche Landvolk“ der Führung Gegengaben
wir die Leistungsbereitschaft in der „Erzeugungsschlacht“ schuldet. Bei der Ak-
zentuierung des bäuerlich-völkischen Gemeinschaftsentwurfs wurden zunächst
der innere Zusammenhalt, später die äußere Grenze gegenüber „dem Feind“ be-
tont. Im Wechselspiel von Abstraktion und Konkretisierung entwarf das Blatt die
Vorstellung vom Deutschen Reich als einem überdimensionierten Bauernhof, be-
arbeitet vom „Landvolk“ und geführt von dessen Meistern. Das Wochenblatt hatte
in der Logik des ‚nationalen Hofes‘ die Aufgabe, dem „Landvolk“ anleitend, ar-
gumentierend, aufklärend und appellierend die Entscheidungen der Führung zu
übermitteln und begreiflich zu machen. Die ‚große Politik‘ wurde dem „Landvolk“
nicht über das Label „Nationalsozialismus“, sondern über nationalsozialistische
Führungsfiguren nahegebracht. In den letzten Kriegsjahren zeichnete sich die Auf-
wertung des „Landwirts“ gegenüber dem „Bauern“
– und damit von ökonomischen
gegenüber „rassischen“ Leistungsmaßstäben – ab. Das „neue Deutschland“, von
dem im Wochenblatt wiederholt die Rede war, hatte keine Entsprechung in der Ge-
genwart, sondern bezog sich auf eine nach dem „Endsieg“ zu schaffende Zukunft.
Über den Anspruch des Wissen-Müssens ermächtigte sich der Reichsnährstand
in paternalistischer Manier zum Ratgeber der bäuerlichen Klientel. Fallweise stieß
das Wochenblatt jedoch bei „Meckerern“ an die Grenzen seiner Deutungsmacht
gegenüber der Leserschaft ; dabei stand das umworbene Vertrauen des „Landvolks“
in die Führung auf dem Spiel.
Neben der medialen Massenberatung suchte das agronomische Wissenssystem
während der NS-Ära auch über die Einzelberatung der Betriebsleiter/-innen, etwa
mittels der Wirtschaftsberatungsstellen, Expertenwissen in den bäuerlichen Alltag
zu vermitteln. Die Wirtschaftsberatungsstelle unter Kriegsbedingungen entpuppte
sich als eine wenig effiziente Institution ; der Verwaltungsaufwand lähmte die ei-
gentliche Wirtschaftsberatung. Die Lösung dieses Problems, der Einsatz bäuerli-
cher Hofberater, suchte die Fremddisziplinierung durch den Beratungsapparat um
die Selbstdisziplinierung der bäuerlichen Bevölkerung zu ergänzen. Der Mangel an
geeigneten Hofberatern ließ die endgültige Problemlösung in bewährter Manier in
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937