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576 Ordnung und Chaos des Marktes
Bemerkenswert erscheint zum einen, dass der Zeitungsartikel das in der veröffent-
lichten Meinung meist ausgesparte Thema des „schwarzen Marktes“ zur Sprache
brachte. Zum anderen wird zwischen den Zeilen der Zusammenhang von offizieller
und inoffizieller Marktsphäre angedeutet : Erst der „geregelte Markt“ rückte zuvor
legale Wirtschaftspraktiken in die Illegalität. Umgekehrt erhob erst der „schwarze
Markt“ die Einhaltung des Wirtschaftsrechts zur Existenzfrage.
Entsprechend der Scheidung zwischen Marktordnung und Bewirtschaftung
unterschied das nationalsozialistische Wirtschaftsrecht zwei Arten von Strafen
gegen Verstöße. Grundsätzlich drohten für Verstöße gegen die Marktordnung
Ordnungsstrafen im Verwaltungsweg, für Verstöße gegen die Bewirtschaftung
auch Gerichtsstrafen. Ordnungsstrafen wurden beim „Verstoß gegen die Berufs-
pflichten“ im Rahmen der Selbstverwaltung der Wirtschaftsverbände verhängt ; sie
sollten die betreffenden Betriebsinhaber/-innen „wieder in die von ihm [und ihr]
gestörte Ordnung zurückführen“. Der staatliche Strafapparat kam erst dort zum
Zug, „wo durch den Verstoß nicht nur die Berufspflichten verletzt, sondern darü-
ber hinaus die Grundlagen der Versorgung angetastet werden“.24 Die gesetzlichen
Grundlagen dafür boten die Verbrauchsregelungs-Strafverordnung (VRStVO)25
von 1940, eine Zusammenfassung des bisherigen Verbrauchsregelungsstrafrechts,
und die Kriegswirtschaftsverordnung (KWVO)26 von 1939.27 Die VRStVO er-
mächtigte die Ernährungsämter, eine Ordnungsstrafe zu verhängen oder, in schwe-
ren Fällen, den Fall an die ordentlichen Gerichte weiterzuleiten. Verbrechen gegen
die KWVO wurden ausschließlich vor den 1939 in den Oberlandesgerichtsbe-
zirken eingerichteten Sondergerichten abgehandelt.28 Die für landwirtschaftliche
Delikte maßgebliche Bestimmung lautete :
„Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung
gehören, vernichtet, beiseite schafft oder zurückhält und dadurch böswillig die De-
ckung des Bedarfes gefährdet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In beson-
ders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden.“29
Während sich die VRStVO auf bezugsbeschränkte Erzeugnisse bezog, erfasste die
KWVO alle Waren, gleichgültig ob bezugsbeschränkt, beschlagnahmt oder frei er-
hältlich. Die KWVO war zweifellos die schärfste Waffe im Kampf gegen die länd-
liche Schattenwirtschaft ; sie zielte auf den „Kriegsschieber“
– ein antikapitalistisch
und antisemitisch aufgeladener Topos des Ersten Weltkriegs und der ersten Nach-
kriegsjahre.30 Sie sollte „jene gewissenlosen Geschäftemacher bekämpfen, die aus
Gewinnsucht oder Auflehnung gegen die kriegswirtschaftlich notwendigen Vor-
schriften zum Nachteil der Allgemeinheit störend in den Warenumlauf eingreifen
und dadurch Versorgungsschwierigkeiten hervorrufen“.31
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937