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579Der
Markt und seine (Un-)Ordnung
das notwendige Essen. Und man kann ruhig sagen : der Kampf in der Heimat ist in
manchen Belangen nicht weniger mühe- und opfervoll, als der im Felde draußen. Das
gilt für die Landwirtschaft im allgemeinen, das gilt aber ganz besonders für die Bauern
der Ostmark, denen die wirtschaftlichen Erholungsjahre des Altreiches 1933 bis 1936
fehlen [Hervorhebungen im Original].“48
Bemerkenswert an diesem Artikel ist weniger die schreiende Kriegsmetaphorik,
als vielmehr der leise, aber unüberhörbare Widerspruch zwischen dem Aufruf, den
„Ertrag zu steigern“, und der Rede von der „Aufrechterhaltung der Erzeugung“.
Damit wurde, wenige Wochen nach dem Ende des Polenfeldzuges und vor Be-
ginn des sich abzeichnenden Krieges gegen die Westmächte, die strategische Rich-
tungsänderung der Ernährungspolitik vom Wachstum zur Stabilisierung – oder,
um im Bild zu bleiben, vom Angriff zur Verteidigung – signalisiert. Dieser Kurs-
wechsel erfolgte wohl nicht „trotz aller Schwierigkeiten“, wie im Artikel zu lesen
war, sondern gerade deswegen. Weiters nahm der Autor zwei wesentliche Unter-
scheidungen vor : einerseits jene zwischen dem wirtschaftlich erholten „Altreich“
und der bedrängten Ostmark, andererseits jene zwischen „Landwirt“ und „Bauer“.
Damit verband er in populistischer Manier die materielle Zumutung, die Erzeu-
gung zu steigern oder zumindest zu halten, mit dem symbolischen Anreiz, einem
auserwählten, sich gegen alle Widrigkeiten behauptenden „Stand“ anzugehören.
Neben die propagandistischen Appelle traten die finanziellen Abgeltungen, die
Betriebsinhaber/-innen für die vermarkteten Produkte erhielten. Trotz aller anti-
kapitalistischer Polemik gegen den Marktpreis als Regulationsmechanismus setzte
der Reichsnährstand im Rahmen seiner Marktordnung auf dieses Steuerungsinst-
rument. Die Preisfestsetzung erfolgte im „Dritten Reich“ vorrangig von der Kon-
sumentenseite her, um Hungerrevolten wie im Ersten Weltkrieg zu verhindern.
Daher sollte die Marktordnung auf der Produzentenseite die Erzeugerpreise auf
beschränktem Niveau fixieren und die Spanne zu den Verbraucherpreisen mög-
lichst gering halten.49 Wie die Preisentwicklung auf dem Gebiet Österreichs zeigt,
wurde die Preisstabilität bei Getreide und Milch weitgehend und bei Hackfrüchten
annähernd erreicht ; die Preise für Rind- und Schweinefleisch – den bevorzugten
Agrargütern auf dem „Schwarzmarkt“ – zogen jedoch merklich an (Tabelle 7.1).
Die nach Kriegsende ermittelten Preisreihen bemessen die finanziellen Abgeltun-
gen für Agrarprodukte 1938 bis 1945 aber nur unzureichend ; denn die Vielfalt der
Produktions-, Distributions- und Konsumtionsbedingungen erforderte ein ebenso
vielfältiges Instrumentarium : „Es gab Richt- und Festpreise, Mindest-, Höchst-
und Grundpreise ; es gab regionale, zeitliche und qualitative Preisabstufungen ; und
es gab ein ganzes Geflecht subsidiärer Preisstützungsmaßnahmen in Form von
Beihilfen, Ausgleichsfonds, Subventionen und Prämien.“50
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937