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588 Ordnung und Chaos des Marktes
zu Kriegswirtschaftsdelikten unterlag nicht völlig der Willkür eines allmächtigen
Terrorapparats, sondern war bis zu einem gewissen Grad verhandelbar – nicht nur
für die Polizei- und Justizbehörden, sondern auch für Verdächtigte, Angeklagte
und Verurteilte. Unter diesem Blickwinkel gewinnt die Sondergerichtsbarkeit den
Charakter eines gesellschaftlich eingebetteten Kräftefeldes unterschiedlich mäch-
tiger Akteure, das Willkürakte von Amtsträgern zwar ermöglichte, aber auch be-
grenzte.
Obwohl die Sondergerichte in der Hauptverhandlung die angeklagten Tat-
bestände zu objektivieren trachteten, können wir ein subjektives Moment der
Spruchpraxis nicht außer Acht lassen : die Urteilsmaßstäbe der vorsitzenden
Richter. Anhand der verhängten Gefängnis- und Zuchthausstrafen lassen sich
die Urteilsprofile der 16 Vorsitzenden bestimmen. Demzufolge beeinflussten nur
vier Richter – Eder, Ewald, Freudenberger und Senser – die gesamte Spruchpraxis
überdurchschnittlich stark in Richtung des jeweiligen Einzelprofils. Die Richter
Eder und Ewald tendierten dazu, Gefängnis- anstatt der im Vollzug verschärf-
ten Zuchthausstrafen in vergleichsweise geringem Ausmaß zu verhängen. Richter
Freudenberger neigte zur Verhängung von Zuchthausstrafen, wobei er zwischen
dem Mindestmaß von einem Jahr und mehr als zweijährigen Strafbemessungen
variierte. Richter Senser zeigte ein auffallend ausgewogenes Profil mit leichter Ten-
denz zu kürzeren Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Die gegenläufigen Tendenzen
der ‚milden‘ Richter Eder und Ewald sowie des ‚strengen‘, jedoch selten vorsit-
zenden Richters Freudenberger hoben einander bis zu einem gewissen Grad auf ;
zudem zeigte Richter Senser ein durchschnittliches Urteilsprofil.68
Einen weitaus stärkeren Einfluss als die individuellen Urteilsmaßstäbe69 hatte
die kollektive Tendenz der Richterschaft zur Verschärfung der Spruchpraxis im
Lauf der Jahre : Der Anteil der Gefängnisstrafen nahm von 89 Prozent 1941 auf
59 Prozent 1944 ab, wobei die Richter zu höheren Strafausmaßen tendierten ; im
selben Zeitraum legten die Zuchthausstrafen anteilsmäßig von 11 auf 41 Prozent
zu, wobei die Richter – als Abmilderung der Verschärfung – immer öfter vom
Mindestmaß von einem Jahr Gebrauch machten (Tabelle 7.5). Der Kurswechsel
der Spruchpraxis war nicht allein durch die radikalisierten Taten der Verurteil-
ten, sondern auch durch die radikalisierten Tatbeurteilungen der Richter bedingt.
So wertete ein unter dem Vorsitz von Richter Ewald noch 1945 gefälltes Urteil
des Sondergerichts beim Landgericht Wien als erschwerend, „dass auch schon im
Jahre 1944 die Ernährungslage des deutschen Volkes angespannt gewesen ist und
ein Verstoss gegen die kriegswirtschaftlichen Bestimmungen aus diesem Grunde
schwerer gehandhabt werden muss als im Anfang des Krieges“.70 Teils ermuntert,
teils gedrängt zur Verschärfung der Spruchpraxis wurde die Richterschaft durch
die offen geäußerte Unzufriedenheit des „Führers“ mit der Justiz, die zur „Ver-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937