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Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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588 Ordnung und Chaos des Marktes zu Kriegswirtschaftsdelikten unterlag nicht völlig der Willkür eines allmächtigen Terrorapparats, sondern war bis zu einem gewissen Grad verhandelbar  – nicht nur für die Polizei- und Justizbehörden, sondern auch für Verdächtigte, Angeklagte und Verurteilte. Unter diesem Blickwinkel gewinnt die Sondergerichtsbarkeit den Charakter eines gesellschaftlich eingebetteten Kräftefeldes unterschiedlich mäch- tiger Akteure, das Willkürakte von Amtsträgern zwar ermöglichte, aber auch be- grenzte. Obwohl die Sondergerichte in der Hauptverhandlung die angeklagten Tat- bestände zu objektivieren trachteten, können wir ein subjektives Moment der Spruchpraxis nicht außer Acht lassen : die Urteilsmaßstäbe der vorsitzenden Richter. Anhand der verhängten Gefängnis- und Zuchthausstrafen lassen sich die Urteilsprofile der 16 Vorsitzenden bestimmen. Demzufolge beeinflussten nur vier Richter  – Eder, Ewald, Freudenberger und Senser  – die gesamte Spruchpraxis überdurchschnittlich stark in Richtung des jeweiligen Einzelprofils. Die Richter Eder und Ewald tendierten dazu, Gefängnis- anstatt der im Vollzug verschärf- ten Zuchthausstrafen in vergleichsweise geringem Ausmaß zu verhängen. Richter Freudenberger neigte zur Verhängung von Zuchthausstrafen, wobei er zwischen dem Mindestmaß von einem Jahr und mehr als zweijährigen Strafbemessungen variierte. Richter Senser zeigte ein auffallend ausgewogenes Profil mit leichter Ten- denz zu kürzeren Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Die gegenläufigen Tendenzen der ‚milden‘ Richter Eder und Ewald sowie des ‚strengen‘, jedoch selten vorsit- zenden Richters Freudenberger hoben einander bis zu einem gewissen Grad auf ; zudem zeigte Richter Senser ein durchschnittliches Urteilsprofil.68 Einen weitaus stärkeren Einfluss als die individuellen Urteilsmaßstäbe69 hatte die kollektive Tendenz der Richterschaft zur Verschärfung der Spruchpraxis im Lauf der Jahre : Der Anteil der Gefängnisstrafen nahm von 89 Prozent 1941 auf 59 Prozent 1944 ab, wobei die Richter zu höheren Strafausmaßen tendierten ; im selben Zeitraum legten die Zuchthausstrafen anteilsmäßig von 11 auf 41 Prozent zu, wobei die Richter  – als Abmilderung der Verschärfung  – immer öfter vom Mindestmaß von einem Jahr Gebrauch machten (Tabelle 7.5). Der Kurswechsel der Spruchpraxis war nicht allein durch die radikalisierten Taten der Verurteil- ten, sondern auch durch die radikalisierten Tatbeurteilungen der Richter bedingt. So wertete ein unter dem Vorsitz von Richter Ewald noch 1945 gefälltes Urteil des Sondergerichts beim Landgericht Wien als erschwerend, „dass auch schon im Jahre 1944 die Ernährungslage des deutschen Volkes angespannt gewesen ist und ein Verstoss gegen die kriegswirtschaftlichen Bestimmungen aus diesem Grunde schwerer gehandhabt werden muss als im Anfang des Krieges“.70 Teils ermuntert, teils gedrängt zur Verschärfung der Spruchpraxis wurde die Richterschaft durch die offen geäußerte Unzufriedenheit des „Führers“ mit der Justiz, die zur „Ver-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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