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591Lange
Schatten, kurzer Prozess
Erst die dritte Dimension, die die restlichen 11 Prozent der Streuung er-
klärt, umfasst die richterliche Unterscheidung zwischen schweren Verstößen
gegen die KWVO, die mit Zuchthausstrafen geahndet wurden, und leichteren
Verstößen, die Gefängnisstrafen nach sich zogen. Damit sind weitere Unter-
scheidungen eng verbunden : Männer versus Frauen, NSDAP-Parteianwärter,
Reichsnährstands- und Gemeindefunktionäre versus Nichtparteimitglieder und
-funktionäre, „Schleichhandel“ von Rindfleisch zu Überpreisen und Missbrauch
der Amtsgewalt versus andere Delikte, hohe versus niedrige Geldstrafen, Kreise
Krems und Bruck an der Leitha versus Kreis Gän sern dorf, fünf und mehr versus
zwei Angeklagte pro Verfahren, Erschwernisgründe (Vorstrafen, Tatwiederho-
lung, Tatmotiv und Verleitung) versus Milderungsgründe (Verleitung, Tatmotiv
und Schadensausmaß) bei der Strafbemessung. Auf dieser Dimension geht es vor
allem um einen Moralunterschied zwischen mehr und weniger schwerwiegenden
Kriegswirtschaftsdelikten.
Gesamt gesehen wird der Raum der ländlichen Schattenwirtschaft durch wirt-
schafts-, politik- und kulturbezogene Dimensionen – Klasse, Organisation und
Moral – aufgespannt (Abbildung 7.4). Die darin angeordneten 206 Fälle son-
dergerichtlich Verurteilter zerfallen entsprechend ihrer Lagebeziehungen in vier
gleichartige Gruppen, die unterschiedliche Teilräume belegen : Die Gruppe der
bäuerlich-amtlichen Falschmelder (24 Fälle) nimmt den oberen Bereich ein. Für ihre
Merkmale ist vor allem der positive Teil der zweiten Dimension bestimmend :
männlich, mittleres Alter, Parteimitgliedschaft sowie Funktion in Reichsnährstand
oder Gemeindeverwaltung, weniger als zwei Hektar oder 20 und mehr Hektar
Grundbesitz, verurteilt wegen Amtsmissbrauchs zu schweren Gefängnis- oder
Zuchthausstrafen, wobei die Verleitung weiterer Personen als erschwerend gewer-
tet wurde. Im Zentralbereich und darunter versammelt sich rechts die Gruppe der
bediensteten Getreideverfütterer (36 Fälle), die vom positiven Teil der ersten Di-
mension und dem negativen Teil der zweiten Dimension geprägt sind : weiblich,
jung, ledig, unselbstständig beschäftigt, kein Grundbesitz, verurteilt aufgrund der
VRStVO wegen Verfütterung größerer Mengen von Getreide und sonstigen Pro-
dukten zu geringen Gefängnisstrafen, wobei die Verleitung durch Vorgesetzte dem
Sondergericht als Milderungsgrund galt.
Der zentrale und untere Teilraum zerfällt links in einen vorderen und hinteren
Bereich. Vorne befindet sich die Gruppe der bäuerlichen Schleichhändler (50 Fälle),
deren Merkmale vom negativen Teil der dritten Dimension bestimmt sind : Par-
teianwärter, fünf bis 20 Hektar Grundbesitz, verurteilt wegen Verkaufs von Rind-
fleisch zu Überpreisen aus „gewinnsüchtigen“ Motiven zu ein- bis zweijährigen
Zuchthausstrafen. Dahinter verbergen sich die bäuerlichen Schwarzschlächter (96
Fälle), für die hauptsächlich der positive Teil der dritten Dimension ausschlag-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937