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Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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602 Ordnung und Chaos des Marktes das widersprüchliche System der Nahrungsmittelbewirtschaftung zurück : Das Urteil war geeignet, die materiell bedrängte „Selbstversorgergemeinschaft“ sym- bolisch zu befestigen. Dies rechtfertigte einen erleichterten Strafvollzug mittels Haftunterbrechungen, -aufschüben und -aussetzungen, der in Form der Arbeits- kraft der Verurteilten der materiellen Basis der bäuerlichen Familienwirtschaft wiederum zugutekam. In den Verfahren gegen bäuerliche Schwarzschlächter standen häufig zwei Ange- klagte, der Betriebsinhaber und seine Ehefrau, vor Gericht. Darin äußerte sich die vorherrschende Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in der bäuerlichen Fa- milienwirtschaft, die dem Mann das Schlachten und der Frau die Verarbeitung des Fleisches zuordnete. Gemeinsam zu wirtschaften hieß vielfach auch, gemeinsam „schwarz“ zu schlachten. Die Produktions- und Reproduktionsgemeinschaft des bäuerlichen „Arbeitspaares“102 beruhte nicht nur auf der Hofausstattung, sondern auch auf Vertrauen. Daher waren die Ehefrauen der bäuerlichen „Schwarzschläch- ter“ als Eingeweihte, Beihelferinnen oder Mittäterinnen vielfach mitangeklagt. Doch die überhand nehmenden Einberufungen bäuerlicher Betriebsbesitzer unter- brachen die arbeitsteiligen Paarbeziehungen. An ihre Stelle traten behelfsmäßige Beziehungen zwischen bäuerlichen Betriebsbesitzerinnen sowie in- und auslän- dischen Arbeitskräften, so etwa im Fall einer 30-jährigen Bäuerin aus Röschitz, Kreis Horn, der nach Einrückung ihres Ehemannes ein bis zwei Kriegsgefangene und eine Ukrainerin zur Bewirtschaftung des 19 Hektar großen Anwesens zur Ver- fügung standen. Um die im Weingarten benötigten Taglöhner/-innen sowie die übrigen Arbeitskräfte zu verköstigen, schlachtete die Besitzerin 1942 mit Unter- stützung eines belgischen Kriegsgefangenen ohne Genehmigung ein Schwein. Über die folgenden Ereignisse gingen die Aussagen auseinander : Die Bäuerin verteidigte sich vor Gericht damit, dass der Mann mittels Drohung mit einer Anzeige wegen „Schwarzschlachtung“ von ihr mehrfach Geschlechtsverkehr erpresste. Doch das Gericht erachtete die Erpressung als Grund des „verbotenen Umgangs“ der Ange- klagten mit dem Kriegsgefangenen als zweifelhaft. Jedenfalls dauerte die sexuelle Beziehung etwa ein Jahr an. Zudem schlachtete die Angeklagte 1943 mit demsel- ben Mann ohne Genehmigung ein weiteres Schwein. Erst als der Kriegsgefangene immer aufsässiger wurde, die Bäuerin immer häufiger beschimpfte und ihr schließ- lich eine Ohrfeige verpasste, wurde er auf ihr Ansuchen hin vom Hof abgezogen.103 Es handelte sich gewiss um einen außergewöhnlichen Fall  – was nicht zuletzt in der harten Bestrafung der Verurteilten mit zwei Jahren Zuchthaus zum Ausdruck kam. Doch an ihm wird fassbar, wie die Normalität der arbeitsteiligen Paarbezie- hung auch unter prekären Umständen  – willentlich oder erzwungen  – hergestellt wurde. Im Rahmen der bäuerlichen Familienwirtschaft schüttelte der Landarbeiter seine Position als diskriminierter Kriegsgefangener mehr und mehr ab und eignete
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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