Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Page - 604 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 604 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Image of the Page - 604 -

Image of the Page - 604 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Text of the Page - 604 -

604 Ordnung und Chaos des Marktes rungsverfahren angestrengt. Der Versteigerungstermin stand kurz bevor, als Kobi- lic gemeinsam mit seinem Sohn im März 1942 ohne Genehmigung ein Schwein schlachtete. Um kein Aufsehen zu erregen, wurde die Schlachtung an einem Sonn- tag, als sich die Nachbarn in der Kirche befanden, entgegen der Gewohnheit, im Freien zu schlachten, im Stall vorgenommen. Über einen bekannten Landwirt aus derselben Gemeinde gelangte Kobilic an die Adresse eines in Wien wohnenden Handelsunternehmers, der als Abnehmer von „Schleichhandelsware“ bekannt war. Der Bekannte hatte den „Schleichhändler“ während seiner Haft, die er we- gen „Schwarzschlachtens“ abzusitzen hatte, kennengelernt. Einige Tage nach der Schlachtung reiste Kobilic mit seinem Sohn mit 19 Kilogramm Frischfleisch im Gepäck nach Wien, um dem Abnehmer die Ware zum Kilopreis von 12 Reichs- mark  – gegenüber dem amtlichen Preis von 1,42 bis 2,16 Reichsmark  – zu ver- kaufen. Wenige Tage später begaben sich die beiden wiederum auf die Reise nach Wien zu ihrem Abnehmer, diesmal mit 35 Kilogramm Fleisch, verpackt in zwei Koffern. Sie wurden jedoch am Wiener Nordbahnhof im Zuge einer Polizeikont- rolle entdeckt und in Haft genommen. Die Verteidigungsstrategie, der der Angeklagte, wohl auch auf Rat seines Straf- verteidigers, während des Verfahrens folgte, erwies sich als erfolgreich : Nicht nur das Geständnis, sondern auch die Rechtfertigung, „daß er ausschließlich zur Ver- besserung seiner schlechten Wirtschaftslage und zur Erreichung der Möglichkeit der Abwendung der drohenden Zwangsversteigerung sich der Straftaten schuldig machte“, galten vor Gericht als strafmildernd ; auf diese Weise konnte die Zuschrei- bung des strafverschärfenden Attributs eines „Kriegsschiebers“ abgewendet wer- den. Vor diesem Hintergrund griffen die Richter, trotz Vorliegen eines schweren Kriegswirtschaftsverbrechens, zum Mindestmaß der dafür vorgesehenen Zucht- hausstrafe.107 Weniger erfolgreich war jedoch das Gesuch um Strafaufschub, das der Rechtsanwalt samt Befürwortungen durch Bürgermeister, Orts- und Kreis- bauernführer einbrachte : Zwar wurden weithin geteilte Denkfiguren bemüht : die Arbeitsüberlastung der 27-jährigen Tochter, die den Betrieb allein führen musste ; der bevorstehende Verlust der Wirtschaft für die Familie durch das Zwangsver- steigerungsverfahren ; die dadurch gefährdete Versorgung der drei minderjährigen Kinder ; der Schaden für die Ernährungswirtschaft durch den drohenden Ernteaus- fall.108 Doch das Ansuchen fand kein Gehör.109 Vielleicht spielte dabei eine Rolle, dass der Verurteilte mit deutscher Staatsbürgerschaft als „tschechischer Volkszu- gehöriger“ galt. Kurze Zeit danach verstarb Kobilic in der Haft ; außer einer hand- schriftlichen Notiz des Todesdatums findet sich im Akt kein Hinweis dazu.110 Wie dieser Fall zeigt, war die Gruppe der bäuerlichen Schleichhändler, die vielfach auch wegen „Schwarzschlachtungen“ verurteilt wurden, von denselben Ressourcen wie die Gruppe der bäuerlichen Schwarzschlächter abhängig : vom Vertrauen seitens
back to the  book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schlachtfelder