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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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614 Ordnung und Chaos des Marktes Bäuerin, die 1940 verbotenerweise Eier an einen Bäckereibetrieb verkauft hatte, wurde als mildernd gewertet, „[…] daß es sich um Verfehlungen in der ersten Zeit des Krieges handelt, da in ei- nem Großteil der Bevölkerung, insbesondere in der Bevölkerung der Ostmark, die ja nur verhältnismäßig kurze Zeit zur Verfügung hatte, sich von den Gedankengängen des liberalistischen Staates auf die Forderung des nationalsozialistischen Volksstaates umzustellen, die Verwerflichkeit derartiger Kriegswirtschaftsverbrechen noch nicht restlos erkannt worden war und die Kriegswirtschaftsbestimmungen sich noch nicht reibungslos eingestellt hatten.“137 Noch für einen um Monate späteren Tatzeitpunkt erhielt eine Bäuerin, die das Fleisch eines durch ihren Ehemann „schwarz“ geschlachteten Schweines im Haus- halt verarbeitet hatte, diesen Milderungsgrund zugestanden : „Endlich war zu be- denken, daß die Tat bereits um die Jahreswende 1941/42 begangen wurde, also zu einer Zeit, in der die Wichtigkeit der Rationierungsmaßnahmen noch nicht so klar  – wie heute  – bis in das letzte Dorf gedrungen war.“138 Diese juristische Argumenta- tionsfigur bezog sich auf die Tatsache, dass das Kriegswirtschaftsrecht vormals all- tägliche Praktiken in bäuerlichen Betrieben und Haushalten  – etwa den Eierverkauf, die Mithilfe beim Schweineschlachten, das Verfüttern überschüssigen Weizens oder Roggens  – kriminalisierte. Dass die Sondergerichte diesen Milderungsgrund häufig weiblichen Angeklagten zuerkannten, lässt einmal mehr auf eine von Geschlechter- vorstellungen geprägte Urteilspraxis schließen : Wie die Betriebsleitung war auch die damit verbundene Kenntnis des Kriegswirtschaftsrechts vor allem Männern zuge- dacht ; für Frauen in Leitungsfunktionen galt daher ein milderer Maßstab. Frau-Sein war jedoch kein allgemeingültiger Milderungsgrund. Im Fall ei- ner Landarbeiterin, die 1943 eine halbe Tonne Weizen als Gegenleistung für ein Darlehen an einen Betriebsbesitzer erworben hatte und, so die Annahme, im „Schleichhandel“ abzusetzen beabsichtigte, wog eine andere Unterscheidung schwerer als das Geschlecht : die „Rasse“. Neben dem „Ruf einer gewerbsmäßigen Hamsterin und Schleichhändlerin“ wurde der Angeklagten ein als „Anlagemin- derwertigkeit“ bezeichnetes „rassisches“ Defizit als „Mischling 2. Grades“  – ihr Großvater galt den Nürnberger Rassegesetzen zufolge als „Volljude“  – angelastet. Obwohl ihr kein „Schleichhandel“ nachgewiesen werden konnte, erhielt sie wegen Verbrechens gegen die KWVO mit 18 Monaten Zuchthaus eine höhere Strafe als der Betriebsbesitzer mit zwölf Monaten Zuchthaus. Das Urteil war wohl durch die allgemeine Radikalisierung der sondergerichtlichen Spruchpraxis mit zuneh- mender Kriegsdauer beeinflusst ; insbesondere radikalisiert wurde es aber durch die rassistisch angeleitete Strafbemessung gegen die „Vierteljüdin“.139
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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