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646 Ordnung und Chaos des Marktes
dieser Entwicklungsrichtung nur 1942 ; in den Folgejahren verkleinerten sie die
Getreidefläche zugunsten der Fläche für Garten- und Handelsgewächse. Die
Nebenerwerbsbauern verlagerten sich durchgängig vom Getreide- zum Feldfut-
terbau ; zudem schränkten sie 1942 und 1943 den Hackfruchtbau erheblich ein.
Hingegen kam bei den Zuckerrübenbauern der Rückzug aus dem Getreidebau
1942 und 1943 neben dem Feldfutter- auch dem Hackfrucht-, Garten- und
Handelsgewächsanbau zugute ; 1944 büßten die Hackfrüchte einen Teil ihrer
Zugewinne ein. Kurz, in allen Gruppen gleichartiger Betriebe war das Getreide
auf dem Rückzug ; das kam in Litschau dem Feldfutter, in Mank zudem den
Handelsgewächsen und in Matzen den meisten Ackerfrüchten außer Getreide
zugute. Diese Regionalentwicklungen entsprechen weitgehend der Gesamtent-
wicklung für Niederdonau : abnehmender Getreidebau, zunehmender Gemüse-,
Handelsgewächs- und Feldfutterbau.
Um diesen Nutzungsänderungen genauer nachzuspüren, betrachten wir den An-
bau ausgewählter Ackerfrüchte (Abbildung 7.26). Der Rückgang des Getreidebaus
betraf insgesamt mehrere Arten : zumeist Roggen, aber auch Gerste (vor allem in
Matzen), in geringerem Maß auch Weizen (vor allem in Mank) und Hafer (vor allem
in Litschau). In einigen Agrarsystemen wurde eine Getreideart durch andere ersetzt,
so etwa Roggen durch Weizen bei den Ackerbäuerinnen und Kleinbauernfamilien 1943
und 1944 sowie den Nebenerwerbsbauernfamilien 1942. Zu den Ackerfrüchten, die
vom Rückgang des Getreidebaus profitierten, zählten Kartoffeln (vor allem in Mat-
zen), Raps (vor allem in Mank) und Flachs (vor allem in Matzen). Herausragende
Zunahmen zeigten bei den Ackerbäuerinnen Futterrüben 1942 und Flachs 1943, bei
den Maschinenmännern Raps 1943 und 1944 sowie bei den Zuckerrübenbauern Kar-
toffeln und Flachs 1943. Vor diesem Hintergrund gewinnen die Haupttendenzen
der (unter-)bäuerlichen Ackernutzung schärfere Konturen : erstens der Rückzug aus
der Erzeugung von Brotgetreide
– vor allem von Roggen, der teilweise durch Weizen
ersetzt wurde –, zweitens die Forcierung des Kartoffel- und Feldfutteranbaus sowie,
drittens, des Handelsgewächsanbaus, etwa von Raps und Flachs.
Nach der (unter-)bäuerlichen Ackernutzung werfen wir einen Blick auf die Fel-
der der Gutsbetriebe im Kreis Gän sern dorf. Unter den Beispielbetrieben kam es
nur auf dem Hutterschen Gut in Markgrafneusiedl zu einem merklichen Verlust
an Ackerland ; auf den übrigen Gütern änderte sich diesbezüglich wenig. Auch
hinsichtlich des Verhältnisses der Ackerfrüchte zueinander unterschied sich der
erste Betrieb von den übrigen in mancher Hinsicht : Während der Getreidebau hier
erheblich ausgeweitet wurde, büßte er dort an Fläche ein ; während der Kartoffel-
bau hier rückläufig war, wurde er dort forciert. Doch manche Veränderungen teilte
der Betrieb mit anderen, so etwa die Zunahme des Anbaus von Hülsenfrüchten,
Garten- und Handelsgewächsen. Uneinheitlich entwickelten sich die Anbauflä-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937