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650 Ordnung und Chaos des Marktes
ernschaft Donauland dem Aufruf zur Schließung der Eiweiß- und Fettlücke durch
verstärkten Raps- und Rüpsenanbau [sic] voll nachgekommen sind“.182
Unter welchen Bedingungen sich die Betriebsleiter/-innen zu derart massiven
Nutzungsänderungen entschlossen, lässt ein dem Wochenblatt 1940 beiliegendes
Flugblatt erschließen. Unter der Überschrift Erfolgreicher Ölfruchtanbau fanden
die Leser/-innen Informationen über „unsere Hauptölfrüchte Raps und Rübsen“,
Lein oder Flachs als Faser- und Ölpflanze, den Mohn, die „Ölfrucht der rauhen
Lagen“, sowie „zwei neue Ölfrüchte : Saflor [Färberdistel] und Ölkürbis“. Beim
oberflächlichen Durchsehen des graphisch aufwendig gestalteten vierseitigen
Flugblatts blieben die Blicke wohl am Schaubild auf der dritten Seite hängen :
„Oelfruchtbau – lohnt sich !“ Eine Bildstatistik im Zentrum veranschaulicht den
volkswirtschaftlichen Fettertrag eines Hektars Raps und Rübsen von 7,5 Doppel-
zentner. Links und rechts daran anschließend werden die betriebswirtschaftlichen
Vorteile des Ölfruchtanbaus versinnbildlicht : die Rücklieferung von Ölkuchen als
hochwertiges Kraftfutter, die Ertragssteigerung bei Weizen als Nachfrucht, die
Preis-, Prämien- und Abnahmegarantien, die Verdoppelung der Zahl der Ernten
auf einem Feld in Kombination mit Zwischenfrüchten. Das Schaubild adressiert
vorwiegend den männlichen „Betriebsführer“ ; nur an der Auszahlungskasse steht
eine Frau in der Warteschlange (Abbildung 7.28). Eine genauere Lektüre klärt
über die Vorteile des Ölfruchtanbaus auf : Zunächst wird auf den etwa sechsmal
so hohen Fettertrag eines Hektars Ölfrucht gegenüber einem Hektar Acker oder
Grünland zur Viehfütterung verwiesen. Zudem seien in betriebstechnischer Hin-
sicht die Risikostreuung, der Ausgleich der Arbeitsspitzen zur Saat- und Erntezeit
sowie die Verbesserung des Bodens für das nachfolgende Wintergetreide von Vor-
teil. Schließlich wird eine Reihe wirtschaftlicher Vorteile angeführt, so etwa beim
Anbau von Raps und Rübsen : die hohen Fixpreise, die bei Abschluss eines Liefer-
vertrages durch Prämien aufgefettet werden, das Vorkaufsrecht auf Ölkuchen, die
Zuteilung zusätzlicher Speiseölmengen ohne Einrechnung in die Fettrationen und
das zusätzliche Stickstoffdünger-Kontingent von etwa einem Doppelzentner pro
Hektar. Auch die Flachserzeuger/-innen genießen Vorteile : Neben den Fixpreisen
und dem Vorkaufsrecht auf den Ölkuchen erhielten sie Bezugsscheine für verbil-
ligte Leinenwaren. Schließlich sei auch der Mohn-, Saflor- und Ölkürbisanbau
von der Preisgestaltung her vorteilhaft. Alles in allem ließe sich sagen, „daß der
Anbau von Oelfrüchten nicht nur betriebstechnische und arbeitstechnische, sondern
vor allem wirtschaftliche Vorteile bietet, die so in die Augen springend sind, daß kein
Bauer oder Landwirt daran vorbeigehen kann [Hervorhebungen im Original]“.183
Welchen „Bauern“ oder „Landwirten“ die Vorteile des Ölfruchtanbaus wohl in
die Augen sprangen – und welchen nicht –, lassen die folgenden Passagen des
Flugblatts erschließen. Schon das Schaubild enthält eine standortbezogene Un-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937