Page - 685 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 685 -
Text of the Page - 685 -
685Vom
Wert der Landarbeit
mögensbilanz großteils wieder im landwirtschaftlichen Betrieb – in der Maschi-
nenausstattung, im Viehstand, in den Gebäuden – angelegt. Die Zunahmen von
Geld und Forderungen gerade in den intensiveren Betriebsformen sind in diesem
Zusammenhang wohl vor allem als Investitionsreserven anzusehen. Mit dem Jah-
reswechsel wurde in fast allen Betriebsformen ein Rückgang der Vermögenszu-
wächse verzeichnet.227
Über die Ertrags- und Einkommenslage der Buchführungsbetriebe in den fol-
genden Jahren liegen lediglich für das Wirtschaftsjahr 1943/44 Rohertrags-, Auf-
wands- und Reinertragsangaben vor (Tabelle 7.29). Auf die eingeschränkte Aus-
sagekraft des Reinertrages wurde bereits zur Genüge hingewiesen ; doch wenn wir
anstatt der absoluten Jahresangaben die relativen Veränderungen gegenüber 1937
betrachten, zeichnen sich bemerkenswerte Unterschiede zwischen und in den Pro-
duktionsgebieten ab : Einsame Spitzenreiter waren die Weinbauwirtschaften des
Flach- und Hügellandes, die von der hervorragenden Weinernte von 1943 profi-
tierten ; dann folgen, deutlich abgeschlagen, die Getreidewirtschaften der klima-
tisch begünstigen Zonen des Waldviertels und die Getreide-Weinbauwirtschaften
des Flach- und Hügellandes ; Minderungen des Reinertrags verzeichneten die Ge-
treidewirtschaften des Alpenvorlandes sowie, in höherem Maß, die Getreide- und
Hackfruchtwirtschaften des Flach- und Hügellandes ; das einsame Schlusslicht
bildeten die Grasland-Waldwirtschaften der Voralpen. Freilich dürfen wir diese
Angaben nicht auf die Waagschale legen ; doch sie belegen die ungleiche Ertrags-
entwicklung zwischen den prosperierenden Betrieben im Flach- und Hügelland
einerseits, den marginalisierten Betriebe in den Gebirgsregionen andererseits.
Die familienwirtschaftlich orientierte Erfolgsrechnung, die Wilfried Kahler an
den Buchführungsergebnissen vorführte, war nicht der einzige Ansatz zur Lösung
der Probleme der klassischen Reinertragskalkulation während der NS-Ära. Im
Zuge des Entschuldungs- und Aufbauverfahrens bestand die Notwendigkeit, die
(unter-)bäuerlichen Betriebserträge und Familieneinkommen in alternativer Weise
zu bemessen. Ziel des Verfahrens war „eine Regelung der Schulden, die es dem
Betriebsinhaber bei ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung ermöglicht, nach Be-
streitung der Kosten einfacher Lebenshaltung und Berücksichtigung der laufenden
öffentlichen Lasten die verbleibenden Schulden zu verzinsen und zu tilgen“.228 Der
zur Schuldentilgung und -verzinsung tragbare Betrag, die „Leistungsfähigkeit“, er-
gab sich aus der Differenz einerseits der Einnahmen aus Erwerbsarbeit inner- und
außerhalb der Landwirtschaft sowie öffentlichen Zuwendungen wie Kinderbeihil-
fen, Invalidenrenten und dergleichen, andererseits der Ausgaben für die Betriebs-
und Haushaltsführung, einschließlich von Ausgedinge- und ähnlichen Lasten. Der
Unterschied zur Reinertragskalkulation liegt auf der Hand : Die außerlandwirt-
schaftlichen und staatlichen Einkünfte werden ebenso einkalkuliert wie die über
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937