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694 Ordnung und Chaos des Marktes
Ausgaben waren Fremdarbeitskräfte in den kleineren Betrieben die Ausnahme ;
in der Regel handelte es sich um reine Familienbetriebe, deren Angehörige nicht
oder weit unter den üblichen Sätzen in Geld entlohnt wurden. Die familienwirt-
schaftliche Selbstausbeutung – genauer, der teils habituell verinnerlichte, teils von
außen erzwungene Verzicht auf persönliche Lohnansprüche zur Deckung gemein-
samer Betriebs- oder Haushaltsausgaben
– ermöglichte die enorme Flexibilität, die
Zwerg- und kleinbäuerliche Betriebe gerade in Krisenzeiten an den Tag legten.
Dieser blinde Fleck jeglicher Reinertragskalkulation wird in der Berechnung der
„Leistungsfähigkeit“ ansatzweise fassbar.
Die übrigen Ausgabenposten machten im Schnitt ein Zehntel oder weniger
aus. Dazu zählten, in absteigender Reihenfolge, die Steuern und Abgaben, die
Ausgaben für Tierhaltung und Feldwirtschaft, die Aufwendungen für Maschinen
und Gebäude, die Betriebszukäufe, die Sachversicherungen, die Saatgutkäufe, die
Pachtzinse und die Ausgedingelasten. In der Regel verteilten sich diese Ausgaben
ziemlich gleichmäßig auf die Betriebsgrößen ; Ausnahmen bildeten – neben den
an die Betriebsgröße gekoppelten Sätzen an Steuern und Abgaben – die Betriebs-
zukäufe, deren Stellenwert mit sinkender Größe zunahm, sowie die Pachtzinse,
die mit zunehmender Größe in Kirchberg an der Pielach stiegen, in den übrigen
Regionen sanken. Auffällig sind die über- oder unterdurchschnittlich gewichte-
ten Ausgabenanteile in Matzen : die Pachtzinse, die, vor allem in den kleineren
und mittleren Betrieben, anteilsmäßig über dem Schnitt lagen ; die überdurch-
schnittlichen Zukäufe für Tierhaltung, Feldbau und andere Betriebszwecke ; das
geringe Gewicht von Steuern und Abgaben sowie Sachversicherungen ; schließlich
das völlige Fehlen von Ausgedingezahlungen – zweifellos eine Folge der Praxis
der Übergeber/-innen war, vom Besitztransfer an die Übernehmer/-innen einige
Parzellen zur eigenen Bewirtschaftung auszunehmen. In all diesen Abweichungen
vom Gesamtdurchschnitt wird einmal mehr die Sonderstellung des regionalen Ag-
rarsystems und der korrespondierenden Landwirtschaftsstile in Matzen im Feld
der (unter-)bäuerlichen Betriebs- und Haushaltsführung deutlich.
Was nach Abzug der Ausgaben von den Einnahmen übrig blieb, war die „Leis-
tungsfähigkeit“ der Entschuldungs- und Aufbaubetriebe – jener Betrag, der für
Schuldentilgung und -verzinsung zur Verfügung stand (Tabelle 7.33). Die Be-
träge je Hektar Kulturfläche nahmen durchwegs mit steigender Betriebsgröße
ab ; das liegt zum einen an der höheren Bodennutzungsintensität, zum anderen
am größeren Gewicht außerlandwirtschaftlicher und außerhäuslicher Einkünfte
kleinerer Betriebe. Auch hier springt der Unterschied zwischen Matzen und den
übrigen Regionen ins Auge : Selbst die Hektarleistung der größeren Betriebe in
Matzen übertraf die „Leistungsfähigkeit“ der kleineren Betriebe in den übrigen
Regionen bei weitem. Dieser Unterschied verringert sich, wenn wir die Gesamt-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937