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701Jenseits
von Traditionalität und Modernität
seits gängige Modernisierungstheorie nach dem Zusammenbruch des „Dritten
Reiches“ der wissenschaftlichen Rechtfertigung gesellschaftlichen ‚Fortschritts‘
im Spannungsfeld zwischen Ost und West.8 Genau besehen handelte es sich
dabei um keine einheitliche Theorie, sondern um ein diffus unter „Modernisie-
rung“ zusammengefasstes Bündel nicht- oder antimarxistischer Interpretationen
gesellschaftlichen Wandels.9 Der klassische Modernisierungsbegriff der 1950er
und 1960er Jahre zeichnete eine Einbahnstraße in Richtung Industrialisierung,
Demokratisierung und Rationalisierung nach westlichem Muster vor. In diesem
Rahmen war der Nationalsozialismus bestenfalls als Abweichung vom westeuro-
päischen Normalweg der Modernisierung, als „deutscher Sonderweg“, denkbar.
Diese ethnozentrische Meistererzählung verlor in der Kritik der Moderne seit
den 1970er Jahren und der Affirmation der Postmoderne seit den 1990er Jahren
an Glaubwürdigkeit.10 Die reflexive Vorstellung von multiple modernities11 erkennt
in der Moderne eine janusköpfige Ambivalenz, die das Potenzial für Zivilisation
ebenso wie für Barbarei birgt.12 Neben dem Normalweg in Richtung einer in-
dustrialisierten, demokratisierten und rationalisierten Gesellschaft werden auch
alternative Modernisierungspfade – einschließlich sozialistische und faschisti-
sche13 – beschritten.
Der umkämpfte Übergang vom klassischen zum reflexiven Modernisierungs-
begriff rahmte auch die Debatte um Nationalsozialismus und Moderne,14 die sich
entlang zweier Dimensionen aufspannte : der Triebkraft nach zwischen intentiona-
ler und funktionaler Modernisierung und der Reichweite nach zwischen totaler und
partieller Modernisierung (Tabelle 8.1). Für jede der Grundpositionen finden sich
charakteristische Beispiele : David Schoenbaum hob in Hitler’s Social Revolution als
einer der Ersten den modernisierenden Charakter des Nationalsozialismus hervor ;
doch die „soziale Revolution“ in der deutschen Gesellschaft habe entgegen den
anti-modernen Absichten der NS-Führung stattgefunden.15 Hans Mommsen, der
das Nachwort zur deutschen Ausgabe von Schoenbaums Buch unter dem Titel
Die braune Revolution schrieb, gestand der NS-Ära einige modernisierende Ent-
wicklungen zu ; doch er verstand diese als unbeabsichtigte Folgen der NS-Herr-
schaft oder „vorgetäuschte Modernisierung“.16 Rainer Zitelmann sorgte mit seiner
Hitler-Biographie für Aufsehen mit der – als den Nationalsozialismus verharm-
losend kritisierten17 – Behauptung, Hitler und andere NS-Führer hätten als „So-
zialrevolutionäre“ eine grundlegende Umwälzung der deutschen Gesellschaft un-
ter modernen Vorzeichen, etwa des US-amerikanischen Fordismus, angestrebt.18
Riccardo Bavaj argumentierte in seiner abwägenden Forschungsbilanz, dass viele
NS-Entscheidungsträger zwar modernen Visionen folgten, deren ambivalente Re-
sultate aber nur Teile der deutschen Gesellschaft erfassten.19
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937