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707Jenseits
von Traditionalität und Modernität
zu verstehen – und derart zum verstehenden Erklären und erklärenden Verstehen
des produktivistischen Übergangs zu gelangen.
Tabelle 8.2 : Erklärungsmodelle des „agrarischen Übergangs“ im 20. Jahrhundert
Triebkraft
Markt Staat
Wirkmodus System Induzierte Innovation Integration durch Unterordnung
Konflikt Landwirtschaftliche Tretmühle Agrarischer Wohlfahrtsstaat
Quelle : eigener Entwurf.
Die Transitionstheorie liefert Bausteine für ein solches Mehrebenen-Modell des
produktivistischen Übergangs der Agrargesellschaft (Abbildung 8.2). Es unter-
scheidet drei raumzeitliche Ebenen, die wechselseitig aufeinander einwirken : auf
der Makroebene die longue durée der naturalen und sozialen Systemumwelt, die die
äußeren Grenzen des Manövrierraums zwischen produktivistischem und nicht-
produktivistischem Wirtschaften abstecken ; auf der Mesoebene die mittelfristige
Abfolge von Systemregimes (Staat, Markt, Wissen usw.), die die inneren Grenzen
des Manövrierraums und damit des Hauptstroms der Agrarentwicklung beeinflus-
sen ; auf der Mikroebene die kurzzeitige Öffnung von Nischen, in denen Akteure in
ihrer Alltagspraxis vom Hauptstrom abweichenden Pfaden folgen. Mit aufsteigen-
der Ebene gewinnen die Strukturen des Systems und von dessen Umwelt an Ge-
wicht ; mit absteigender Ebene wächst die praktische Verhandlungsmacht (agency)
der Akteure.49 Im produktivistischen Übergang interagieren alle drei Ebenen : Die
Systemumwelt verschiebt den Manövrierraum in die produktivistische Richtung,
etwa durch die Erschließung fossiler Energieträger ; innovationsaffine Akteure eig-
nen sich produktivistische Wirtschaftsstile an und öffnen eine Pioniernische, etwa
durch den Kauf von Traktoren mit Verbrennungsmotor ; das Systemregime sucht
diese Tendenzen mittels regulierender Eingriffe des Staates zu stärken, etwa durch
begünstigte Kredite für agrartechnische Neuerungen ; die äußeren Grenzverschie-
bungen des Manövrierraums und das Vorbild der Pioniernische im Inneren leiten
den Hauptstrom der Betriebe in Richtung Produktivismus, etwa im Zuge einer
Traktorisierungswelle ; einige innovationsaverse Akteure halten an nicht-produk-
tivistischen Wirtschaftsstilen fest und öffnen eine Rückzugsnische, etwa durch die
Weiternutzung von Zugtieren als Kraftquelle ; das Systemregime sucht aus dem
produktivistischen Übergang folgende Probleme mittels regulierender Eingriffe
zu dämpfen, etwa durch den Ausschluss nicht ‚entwicklungsfähiger‘ Betriebe von
der Investitionsförderung ; der Hauptstrom der Betriebe vollzieht einen produkti-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937