Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Page - 728 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 728 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Image of the Page - 728 -

Image of the Page - 728 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Text of the Page - 728 -

728 Eine grünbraune Revolution ? faschistischen „Regierungsdiktatur“ zu verschleiern trachtete  – eine Tendenz, die nach Dollfuß’ Ermordung durch NS-Putschisten 1934 unter Bundeskanzler Kurt Schuschnigg offensichtlich wurde.100 Der „agrarische Kurs“ zeigte jenseits der Kampfrhetorik von Befürwortern und Gegnern in der Agrargesellschaft ambivalente Resultate. Die umfangreichen For- derungskataloge der Bauernfunktionäre  – Schließung der „Preisschere“ zwischen Agrar- und Industrieprodukten, Hebung des Milch- und Fleischkonsums, He- rabsetzung der Steuerlasten, Abbau der Soziallasten, Senkung der Kreditzinsen, Schutz vor Exekutionen und so fort  – stießen auf heftigen Widerstand von Indus- trievertretern und fanden unter Schuschniggs Kanzlerschaft in der Regierung we- nig Gehör. Das Unvermögen des Staates, das Verschuldungsproblem in den Griff zu bekommen, die zurückhaltende Subventionspolitik und die budgetschonende Selbstfinanzierung der Agrarförderung („Futtermittellizenzgebühr“) belasteten die bäuerliche Existenz.101 Doch die Probleme lagen nicht nur auf der Produzenten- seite, sondern auch auf der Seite der Konsumenten ; denn die Agrarkrise der 1930er Jahre war eher eine Unterkonsumtions- als eine Überproduktionskrise. Unter dem budgetpolitischen Sparkurs der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur blieb die Kaufkraft der durch Massenarbeitslosigkeit getroffenen Lohnabhängigen gering. Der Nah- rungsmittelkonsum der Arbeiterschaft verlagerte sich von teureren Milch- und Fleisch- zu billigeren Getreide- und Kartoffelprodukten. Der dramatische Verfall der Milch-, Fleisch- und Holzpreise traf vor allem kleine und mittlere Viehzucht- betriebe im Gebirge, die kaum auf alternative Marktprodukte ausweichen konnten ; sie waren zunehmend Verschuldung und Zwangsversteigerungen ausgesetzt. Halb- herzige Gegenmaßnahmen wie der Bergbauernhilfsfonds 1934 und die Besitzfes- tigungsaktion 1937 boten wenig Abhilfe.102 Demgegenüber profitierten größere Ackerbaubetriebe im nieder- und oberösterreichischen Flach- und Hügelland von den günstigen Getreidepreisen. So verfehlte der „agrarische Kurs“ die verspro- chene „gerechte“ Existenzbasis für den „Bauernstand“ in seiner Gesamtheit und entpuppte sich als selektiver Protektionismus, der die Kluft zwischen einzelnen Agrarregionen, Produktionszweigen und Betriebsgrößen vertiefte. Entgegen dem Ideal „berufsständischer“ Solidarität entzog die in der Realität wachsende Konkur- renz zwischen einzelnen Fraktionen der Agrargesellschaft dem ständestaatlichen „System“ nach und nach die Legitimität  – und bot dem Nationalsozialismus eine Kontrastfolie zur Vision einer „Volksgemeinschaft“ mit bäuerlichem Antlitz.103 Der Zusammenbruch des „Dritten Reiches“, die Wiedererrichtung der Repub- lik Österreich durch die alliierten Besatzungsmächte ‚von oben‘ und die Bundes- länder ‚von unten‘ sowie die Bildung einer Großen Koalition aus Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Sozialistischer Partei Österreichs (SPÖ) 1945 setzten den politischen Rahmen für den landwirtschaftlichen „Wiederaufbau“ in der Nach-
back to the  book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schlachtfelder