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730 Eine grünbraune Revolution ?
welches das agrarpolitische Leitbild des „österreichischen Weges“ verfassungs-
rechtlich festschrieb ; dessen Umsetzung sollte fortan jährlich ein Grüner Bericht
dokumentieren.107
Das Landwirtschaftsgesetz von 1960 stand in einer Serie von Gesetzgebungen,
die in der Nachkriegszeit – beginnend mit dem britischen Agriculture Act von
1947, der wiederum auf den US-amerikanischen Agricultural Adjustment Act von
1933 im Zuge des New Deal zurückgriff – die krisen- und kriegsbedingte Praxis
des agrarischen Interventionsstaates in Europa nachträglich zur Norm erhoben.108
Es enthielt, ähnlich wie seine Vorläufer in der Schweiz 1951 und in Westdeutsch-
land 1955, eine Mischung ‚traditioneller‘, auf den Schutz des „Bauerstandes“, und
‚moderner‘, auf das leistungs- und wettbewerbsorientierte Agrarunternehmertum
ausgerichteter Ziele :109 Einerseits forderte es den Erhalt eines „wirtschaftlich ge-
sunden Bauernstand[es]“, die „Teilnahme an der fortschreitenden Entwicklung
der österreichischen Volkswirtschaft“ und den Ausgleich „naturbedingter Nach-
teile“, vor allem der Bergbauernbetriebe, gegenüber anderen Wirtschaftszweigen.
Andererseits zielte es auf die Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfä-
higkeit durch „strukturelle Maßnahmen“, die „Bedachtnahme auf die Gesamt-
wirtschaft und die Interessen der Verbraucher“ und die „bestmögliche Versor-
gung“ der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln.110 Der ambivalente Zielkatalog des
Landwirtschaftsgesetzes von 1960 signalisierte – zusammen mit dem Zuschuss-
rentenversicherungsgesetz von 1957 und dem Anerbengesetz von 1958111 – eine
Gewichtsverschiebung hin zur Anpassung des bäuerlichen Familienbetriebs an die
Ansprüche der Industriegesellschaft. Der niederösterreichische Kammerpräsident
Alois Scheibenreif sprach Mitte der 1960er Jahre diesbezüglich Klartext :
„Noch nie in der Geschichte hat die Landwirtschaft derart umwälzende Aufgaben zu
lösen gehabt, wie dies seit dem Ende des letzten Krieges der Fall war. Dieser gewaltige
Umstellungsprozeß betrifft nicht nur die österreichischen Bauern, im ganzen europäi-
schen Raum und darüber hinaus stehen wir vor dem Problem, die Landwirtschaft der
Industriegesellschaft anzupassen.“112
In welcher Weise institutioneller und technischer Wandel des österreichischen
Agrarsystems zwischen den 1930er und 1950er Jahren zusammenhingen, zeigen
die agrarischen Ressourcenbestände und -flüsse. Nehmen wir als Ausgangspunkt
die Ungleichverteilung des land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes 1930
(Tabelle 8.11) : Die Kleinbetriebe umfassten zwar 27 Prozent aller Betriebe, ver-
fügten aber nur über 1,5 Prozent der gesamten Betriebsfläche ; dagegen machten
die entsprechenden Anteile der Großbetriebe 1,4 und 46 Prozent aus. Die 1930er
Jahre zeigten eine Änderungsdynamik zuungunsten der Kleinbetriebe und zuguns-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937