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733Österreich
zwischen Krise und Boom
Produktionsmittel einsetzt, ihre Bewirtschaftungsmethoden rationalisiert und die
Erkenntnisse der agrarwissenschaftlichen Forschung auswertet.“114 Aus diesen
Worten sprach der wirtschaftswissenschaftliche Mainstream, der das Agrarische zu
einer Variante des Industriellen um- und abwertete – ein Indiz für den beginnen-
den Übergang vom agrarisch-industriellen zum industriell-agrarischen Wissensre-
gime.115 So gesehen markiert die NS-Ära einen Take Off zur – gegen Kriegsende
unterbrochenen, doch in den Nachkriegsjahrzehnten beschleunigt fortgesetzten –
‚Aufrüstung‘ des österreichischen Agrarsystems mittels land- und arbeitssparender
Technologien auf fossilenergetischer Basis.
Tabelle 8.12 : Jährliche Acker- und Vieherträge in Österreich 1930–1958
1930/37 1938/44 1946/49 1950/58
Brotgetreideertrag (dz/ha) 15,2 14,5 12,5 19,4
Futtergetreideertrag (dz/ha) 15,6 15,5 12,3 19,6
Hackfruchtertrag (dz/ha) 179,6 172,5 129,0 240,6
Futterpflanzenertrag (dz/ha) 41,7 45,7 39,0 62,7
Milchleistung (kg/Kuh) 2.112 1.543 1.479 2.164
Quelle : eigene Berechnungen nach Meihsl, Landwirtschaft, 681, 691.
Der vermehrte Kapitaleinsatz in der NS-Ära schlug im Produkt des Faktoreinsat-
zes kaum zu Buche ; der Mangel an Arbeitskräften und sonstigen Betriebsmitteln
sowie ungünstige Witterungsbedingungen drückten die Erträge der Pflanzen- und
Tierproduktion. Das zeigen etwa die gegenüber den 1930er Jahren abnehmenden
oder stagnierenden Hektarerträge und Kuhmilchleistungen, die nach einem wei-
teren Einbruch nach Kriegsende erst in den 1950er Jahren über das Vorkriegsni-
veau hinauskletterten (Tabelle 8.12). Die hier erstmals für die – bislang aus der
Agrarstatistik ausgesparte – NS-Ära vervollständigte Entwicklung des landwirt-
schaftlichen Produktionsvolumens sowie der Boden- und Arbeitsproduktivität
bestätigt diesen Eindruck (Abbildung 8.7) : Die Jahre bis 1937 zeigten eine Pen-
delbewegung des Produktionsvolumens und der parallel laufenden Boden- und
Arbeitsproduktivität mit gegen Ende hin steigender Tendenz. Folglich erweisen
sich die häufig als Maßstab für den Normalzustand des Agrarsystems vor dem
Krieg verwendeten Maßzahlen für 1937 als dafür wenig geeignete Ausnahme. Die
Periode 1938 bis 1944 kennzeichnete ein Auf und Ab von Produktionsvolumen
und Bodenproduktivität mit stark fallender Tendenz ; nur die Produktivität des
ausgezehrten Arbeitskräftebestandes stieg – zumindest rechnerisch – tendenziell
an. 1946 bis 1953 kletterten alle drei Kennzahlen vom Tiefpunkt gegen Kriegs-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937