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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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739Österreich zwischen Krise und Boom der tendenziell produzentenfreundliche und konsumentenfeindliche „agrarische Kurs“ der frühen 1930er Jahre, der sich an den vermeintlichen Ansprüchen des „Bauernstandes“ gegenüber der industriellen „Arbeiterklasse“ orientierte, zielte die sozialpartnerschaftlich abgestimmte Agrarpolitik der späten 1950er Jahre auf die Anpassung des bäuerlichen Familienbetriebs an die Ansprüche der Industrie- gesellschaft. Damit war auch eine moralökonomische Umwertung des „gerechten Preises“ verbunden : Bedeutete ‚gerecht‘ anfangs, die Existenz des „Bauernstandes“ in der Binnen- und Weltmarktkonkurrenz  – auch gegen die Interessen anderer Gesellschaftsklassen  – abzusichern, heftete sich ‚Gerechtigkeit‘ schließlich an den wohlfahrtsstaatlichen Schlüsselbegriff der „Einkommensparität“, der beabsichtig- ten  – aber nie vollends verwirklichten  – Angleichung der bäuerlichen Einkommen an die Löhne in anderen Wirtschaftssektoren. Die Existenzsicherung der bäuerli- chen Familienwirtschaft im „agrarischen Wohlfahrtsstaat“ war für christ- und so- zialdemokratische Parteien wie ÖVP und SPÖ gleichermaßen anschlussfähig : für Erstere als Festigung der ländlichen Familien- und Dorfgemeinschaft als „Keim- zellen“ der Gesellschaft, für Letztere als Nivellierung sozialer Ungleichheit in der Klassengesellschaft.126 Die Gewichtsverlagerung vom paternalistischen „Bauernstand“ zur wohl- fahrts- und leistungsorientierten Industriegesellschaft als bestimmendem Maß- stab127 erweiterte auch den Wirkungsbereich der Staatsintervention. Je mehr sich die Existenzsicherung des „Bauernstandes“ der paritätischen Anpassung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in der Industriegesellschaft unterordnete, umso mehr vergrößerte sich das politische Aktionsfeld  – nach außen hin von der Agrar- zur Ernährungspolitik, nach innen hin von der Agrarmarkt- und Agrarpreis- zur Agrarstrukturpolitik. Während die Markt- und Preispolitik über Eingriffe in den Preismechanismus die Entscheidungen der Betriebsbesitzer/-innen indirekt zu steuern suchte, griff die Strukturpolitik über die (Nicht-)Zuteilung von Ressourcen viel direkter in die Betriebsführung ein.128 Nach strukturpolitischen Experimenten vor dem Krieg, etwa der halbherzigen Besitzfestigungsaktion des „Ständestaates“, verschmolzen Markt-, Preis- und Strukturpolitik in der Nachkriegszeit zu einer ambivalenten Agrarpolitik im Sinn des Landwirtschaftsgesetzes : Einerseits suchte der agrarische Interventionsstaat, entsprechend der durch den „Kalten Krieg“ zwi- schen Ost und West aufgewerteten nationalen Ernährungssicherheit, den als not- wendig erscheinenden Strukturwandel voranzutreiben. Andererseits trachtete er den produktivistischen Übergang mittels „gerechter“, dem Paritätsziel verpflich- teter Agrarpreise auf eine für den bäuerlichen Familienbetrieb  – als Gegenmodell zur sowjetischen Kolchose und US-amerikanischen Farm  – verträgliche Weise auszugestalten. Kurz, Forderung und Förderung bildeten die beiden Gesichter des agrarpolitischen Januskopfes.
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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