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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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740 Eine grünbraune Revolution ? Die ambivalente Agrarpolitik äußerte sich in dem  – nicht nur in Österreich  – zu beobachtenden Paradox, dass die Urteile zur Agrarentwicklung aus wirtschaftspo- litischer Sicht meist skeptisch, aus sozialpolitischer Sicht aber meist euphorisch ausfielen.129 Damit veränderte sich à la longue auch die Klassenlage des „Bauern- standes“ : „Der Besitz als Klassenmerkmal verlor gegenüber dem Erwerbs- und Versorgungsklassencharakter an Bedeutung.“130 Die Bauernorganisationen  – Landwirtschaftskammern, Bauernbünde und Genossenschaften  – spielten im Agrarkorporativismus eine wichtige Doppelrolle : einerseits als Agenturen des Strukturwandels entsprechend industriegesellschaftlicher Ansprüche, andererseits als dessen Ausgestalter entsprechend bäuerlicher Ansprüche  – die in sich wider- sprüchlich und daher umkämpft waren.131 Die Aufwertung selektiver gegenüber protektiven Elementen der Agrarpolitik Ende der 1950er Jahre entsprach der be- schleunigten Entagrarisierung der österreichischen Industriegesellschaft, deren Agraranteil 1951 bis 1961 von 22 auf 16 Prozent sank.132 Gemäß des korporati- vistischen Kompromisses bedurfte eine ‚moderne‘ (d. h. industrialisierte) Gesell- schaft eines ‚modernen‘ (d. h. industrialisierten) Agrarsektors, der industriell ge- fertigte Betriebsmittel abnahm, ausreichende und billige Agrarprodukte lieferte und überschüssige Arbeitskräfte freigab. Der „österreichische Weg“ der Agrar- politik war kein Sonderweg, sondern orientierte sich am selektiven Agrarprotek- tionismus westeuropäischer Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg und der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).133 Allerdings greift deren Charakterisierung als „agrarischer Wohlfahrtsstaat“134 zu kurz, weil sich das Wohlfahrtsversprechen stets auch an nicht allseits erfüllbare Leistungsansprüche knüpfte. Der technische Wandel des österreichischen Agrarsystems hinkte dem institu- tionellen Wandel nach  – was den Sattelzeit-Charakter der 1930er bis 1950er Jahre unterstreicht. In der klassischen Sattelzeit zwischen Mitte des 18. und Mitte des 19. Jahrhunderts erhielten Schlüsselbegriffe ‚moderne‘ Bedeutungen, bevor diese in der politisch-ökonomischen Doppelrevolution gesellschaftsverändernd wirkten.135 In ähnlicher Weise prägte die Schwellenzeit136 der 1930er bis 1950er Jahre eine ‚moderne‘ Bedeutung von Agrarentwicklung, bevor die „Grüne Revolution“137 im Nachkriegsboom abhob. Erst Mitte der 1950er Jahre hatten die landwirtschaftli- chen Produktivitätskennzahlen die Vorkriegsmarke nicht nur überschritten, son- dern signalisierten einen revolutionären, fossilenergetisch befeuerten Wachstums- schub. Dagegen verblassen notwendigerweise die nationalsozialistischen Ansätze zur „Aufrüstung des Dorfes“ in den Alpen- und Donaureichsgauen mittels land- und arbeitssparender Technologien. Dieser aus einer Nach-1945er-Perspektive als bestenfalls evolutionär  – und zudem gescheitert  – erscheinende Take Off trug aus einer Vor-1945er-Perspektive jedoch durchaus revolutionäre Züge. Eine Agrarre-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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