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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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747Versuchsstation des völkischen Produktivismus suchte der „(Gemeinschafts-)Aufbau“ die Produktivität der (Berg-)Bauernfamilie im doppelten  – technischen und „völkischen“  – Sinn zu heben. Damit waren un- terschiedliche, einander ergänzende Geschlechterrollenentwürfe verbunden : Die Planungen des Gemeinschaftsaufbaus wiesen in Richtung eines kapitalintensiven, auf Grünlandbewirtschaftung und Milchviehhaltung spezialisierten Mittelbetriebs unter männlicher Führung ; die Ehefrau des Bergbauernhofbesitzers sollte vor al- lem als Hausfrau und Mutter dem „erbgesunden“ Nachwuchs dienen. Zwar brach dieser Freilandversuch, einen technisch und „völkisch“ produktiven Bergbauern zu züchten, nach der Kriegswende 1941/42 wegen Ressourcenmangels in sich zusam- men. Gleichwohl entwarf er im Wechselspiel staatlicher Fremd- und bäuerlicher Selbststeuerung die Konturen eines bergbäuerlichen Entwicklungspfades, der in der Agrarrevolution nach dem Krieg richtungsweisend wurde.145 Beide Pioniernischen eröffneten ihren Akteuren den Ausblick auf einen vir- tual farmer als Kern eines agrarischen Megaprojekts146, das vom Hauptstrom der Agrarentwicklung und dessen Rückzugsnischen aus kaum zu erkennen war. Dieser Entwurf einer „totalen Neuordnung“ des Agrarsystems verschob die Zeit- und Raumkoordinaten der vor dem „Anschluss“ in Österreich vorherrschenden Auffassung von Landwirtschaft : In zeitlicher Hinsicht markierte er einen Bruch mit der abschätzig als „System“ bezeichneten Vergangenheit  – vor allem mit dem „Ständestaat“ und dessen behaupteter Unfähigkeit, die anstehenden Agrarpro- bleme zu lösen. Zugleich richtete er die Gegenwart des Wirtschaftens an einer plan- und machbaren Zukunft nach dem „Endsieg“ aus. In räumlicher Hinsicht ordnete er die lokale Betriebs- und Haushaltsführung dem Nationalstaat als dem zentralen Regulator der überregionalen Faktor- und Produktmärkte unter. Dieses zukunfts- und staatsgeleitete Entwicklungsprojekt war alles andere als ‚antimo- dern‘ gepolt ; vielmehr zielte es auf eine alternative Moderne147 jenseits von Libe- ralismus und Sozialismus, eine  – in den Worten eines Vordenkers  – „organische Agrarrevolution“ :148 Einerseits suchte es einen Kern an „gesundem“ Bauerntum zur „rassischen“ Stärkung des „Volkskörpers“  – im Reichsgebiet als dem indust- riellen Zentrum wie in den zu besiedelnden Agrarperipherien im „germanischen Großraum“– zu stärken. Andererseits suchte es das bäuerliche Leistungspotenzial im Zuge einer ‚nachholenden Modernisierung‘ der  – gegenüber dem „Altreich“ als rückständig erachteten  – ostmärkischen Landwirtschaft mittels technischer „Auf- rüstung“ im Dienst größtmöglicher Nahrungsautarkie zu heben ; dies erforderte bei abnehmenden Arbeitskraft- und zunehmenden Landressourcen zugleich eine Akzentverlagerung von der Boden- zur Arbeitsproduktivität als Leistungsmaßstab. Den ambivalenten Modernitätsentwurf einer „gesunden“, das heißt bevölkerungs- und produktionstechnisch optimierten Agrarstruktur mit mittelbäuerlichem Zu- schnitt fasse ich begrifflich als völkischen Produktivismus.
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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