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Historischen Diskursanalyse unterschiedlich beschrieben worden: Während
Michel Foucault dem Subjekt weniger Wirkmöglichkeiten bescheinigte als
den Faktoren, die es determinieren15, (gern sprach er von Konventionen16,
kollektiver Denkpraxis bzw. dem kulturellen Unbewussten17, ja nachgerade
von Machtbeziehungen18) und den Anspruch erhob, diese als Regeln und Vo-
raussetzungen menschlichen Handelns erkennen und, gleichsam mit dem
Blick des Archäologen bzw. des Anatomen, präzise beschreiben zu können19
(sie nach Art der klassischen Ideengeschichte in der Tiefenstruktur zu ver-
stehen und zu interpretieren, war nicht sein Anliegen20), akzentuierte die
Cambridge School, die ebenfalls um Rekonstruktion des Kontexts bemüht
war21, auch die mehr oder weniger weit reichenden Gestaltungsmöglichkei-
ten des Subjekts.22 Stärker an die klassische Geistesgeschichte anschließend,
machte sie die Perspektive der Akteure zum Thema und lotete das Span-
nungsverhältnis zwischen Tradition und situativer Innovation aus.23 Anders
als bei Foucault setzte dieses Verständnis keine monolithische Struktur des
Diskurses voraus, sondern begriff ihn als lebendigen, komplexen Prozess.24
Auch wird nicht, wie bei Foucault, die Richtigkeit bestehender Grammati-
ken25 und jede Kohärenz in den Diskursen – bis hin zur Idee einer geordne-
ten Schöpfung, die es zu entdecken gelte – grundsätzlich, mithin voluntaris-
tischer Spekulation Tür und Tor öffnend, in Frage gestellt26, auch nicht der
15 foucault, Archäologie, 48–50 und 199; vgl. fisch, Werke, 224; JäGer, Kritische Dis-
kursanalyse, 37; JäGer, Diskurs, 86; Jütte, Diskursanalyse, 314; landwehr, Historische
Diskursanalyse, 67–70; martschuKat, Diskurse, 71; sarasin, Michel Foucault, 114; sarasin,
Diskursanalyse, 56. stollberG-rilinGer, Einleitung, 33.
16 foucault, Archäologie, 33 f.; vgl. landwehr, Geschichte des Sagbaren, 100; moser, Konst-
ruktivistisch Forschen?, 11.
17 foucault, Archäologie, 35–40; vgl. fisch, Werke, 179; sarasin, Michel Foucault, 101.
18 foucault, Archäologie, 67–69 und 75–82; foucault, Ordnung, 166–170; boGdal, Histori-
sche Diskursanalyse, 22; fisch, Werke, 55; landwehr, Historische Diskursanalyse, 73; ruf-
finG, Michel Foucault, 27 f.; sarasin, Michel Foucault, 115 f.; sarasin, Diskursanalyse, 55.
19 fisch, Werke, 212; JäGer, Kritische Diskursanalyse, 11; Keller, Diskursforschung, 44 f.;
sarasin, Michel Foucault, 68 f. und 105 f.; sarasin, Geschichtswissenschaft, 58 f.
20 foucault, Archäologie, 195–198; vgl. Keller, Diskursforschung, 47; ruffinG, Michel
Foucault, 37; sarasin, Geschichtswissenschaft, 37; stollberG-rilinGer, Einleitung, 34.
21 sKinner, Bedeutung, 92; PococK, The Concept, 98; vgl. bevir, The role, 162–164; hamPs-
her-monK, Ideengeschichte, 294.
22 hellmuth/von ehrenstein, Intellectual History, 171; landwehr, Geschichte des Sagbaren,
98 f.
23 raPhael, Diskurse, 170.
24 hellmuth/schmidt, Pocock, Skinner, 276.
25 foucault, Archäologie, 51–54.
26 foucault, Archäologie, 213–217.
2.1 DER DISKURSANALyTISCHE ANSATZ 47
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580