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Die Entwicklung der Heimwehr verlief regional unterschiedlich. Der Tiro-
ler Anton Klotz erwähnte nicht ohne Stolz, dass der Wehrverband in seinem
Bundesland eine besonders starke Basis hatte.38 Er schätzte an ihm, dass er
sich nicht einfach damit begnüge, die Sozialdemokratie niederzuwerfen, son-
dern dem ständischen Gedanken in positiver Weise zuarbeite.39 Insgesamt
handelte es sich aber um ein Konglomerat heterogener Gruppen, denen die
Einigung auf ein tragfähiges Programm nicht gelang.40
Im Herbst 1929 nannte die Bundesführung den ständischen Staat als End-
ziel der Bewegung.41 Im Mai 1930, im Korneuburger Eid, legte sich die Heim-
wehr auf außerparlamentarische Strategien fest; allerdings verweigerten
manche Mitglieder die Eidesleistung, weil sie faschistische Elemente orteten;
auch das Verhältnis zur Bundesregierung verschlechterte sich.42 1931 kam es
nach einem Putschversuch des Steirers Walter Pfrimer zu einer Spaltung.43
1933 kulminierten die antiparlamentarischen Äußerungen in der Forde-
rung nach Auflösung aller Parteien.44 Anlässlich der Feier des „Türkenjah-
res“ 1683 lieferte die Heimwehr einen eindrucksvollen Beweis patriotischer
Gesinnung.45 Bundeskanzler Dollfuß begleitete die stete Sorge, sie plane ei-
nen Putsch.46 Kritische Zeitgenossen wollten Analogien zum Nationalsozia-
lismus erkennen.47
Am 4. März 1933 kam es im Wiener Parlament im Zuge einer Geschäfts-
ordnungskrise zu dessen Ausschaltung48; gestützt durch die Ereignisse in
38 KlotZ, Sturm, 10 f.; vgl. tálos, Herrschaftssystem (2013), 192–196.
39 KlotZ, Sturm, 44.
40 botZ, Soziale „Basis“, 20; Kriechbaumer, Front, 63; Kriechbaumer, Erzählungen, 548–550
und 606–609; riedmann, Das Bundesland Tirol, 881 f.; stimmer, Eliten, 722–728; tálos,
Handbuch, 265 (C. Earl edmondson); wandrusZKa, Struktur, 340 f. und 360–363; wilt-
scheGG, Heimwehr, 17 und 247.
41 wiltscheGG, Heimwehr, 309–313.
42 falle, Wurzeln, 76; Kriechbaumer, Erzählungen, 553–556 und 589; Potočnik, Bewusstsein,
150–152; reiter-ZatlouKal, Parlamentarismus, 40 f.; tálos, Voraussetzungen, 258; tálos,
Handbuch, 270 (C. Earl edmondson); tálos, Herrschaftssystem (2013); wohnout, Verfas-
sungstheorie, 27 f.; woller, Rom, 93.
43 botZ, Gewalt, 182–186; brandtner, Diskursverweigerung, 244–255; Karner, Steiermark,
26 f.; rathKolb, Erste Republik, 497; tálos, Herrschaftssystem (2013), 19; zu Pfrimer vgl.
auch sonnleitner, Widerstand, 55–65 und 71–77.
44 wiltscheGG, Heimwehr, 315.
45 wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 200; zur Kritik und überhaupt zu den Gefahren
der Identitätsstiftung durch Jubiläen vgl. suPPan, Was bleibt, 105 f.
46 Kindermann, Österreich, 143 f.; ross, Hitler, 158–265.
47 brandl, Kaiser, 442.
48 brauneder, Verfassungsgeschichte, 232; tálos, Herrschaftssystem (2013), 32; tálos, Zum
Herrschaftssystem, 151; zum Ablauf P. berGer, Kurze Geschichte, 146 f.; Janistyn-nováK,
Vorwort, 7–12.
3.1 ÖSTERREICH 1918–1938 63
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580