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der Bekämpfung der Sozialdemokratie übermäßig zu akzentuieren.598 In den
darauffolgenden Monaten nahm das Verhältnis zwischen Österreich und
Italien einen so ungünstigen Verlauf, dass Seipel in der ersten Jahreshälfte
1928 um Normalisierung bemüht sein musste.599 Er ließ Mussolini ausrich-
ten, Österreich betrachte die Südtirolfrage als inneritalienische Angelegen-
heit und betreibe keine antiitalienische Agitation; daher könnten die zwi-
schenstaatlichen Beziehungen wieder „in die Atmosphäre der Herzlichkeit“
zurückgeführt werden.600 Dies war freilich umso schwerer, als im Parlament
weiterhin eine italienkritische Haltung vorherrschte.601
Den Volksvertretern bereitete es Unbehagen zu sehen, dass Österreich
seit dem Frühjahr 1928 Objekt politischer Verhandlungen zwischen Italien
und Ungarn war. Beide Länder wollten mithilfe der Heimwehr eine Rechts-
regierung fördern: Für Ungarn sollte diese ein Gegengewicht gegen die
Kleine Entente sein, Italien sah darin einen Vorteil für sich in der Tiroler
Frage. Im Sommer 1928 liefen diesbezüglich intensive Verhandlungen. Für
den 7. Oktober, an welchem die Sozialdemokraten eine Demonstration ge-
plant hatten, war eine Großveranstaltung der Heimwehr vorgesehen. Einer
ihrer führenden Funktionäre, der Tiroler Richard Steidle, sprach von der
Möglichkeit, daraus einen Marsch auf Wien zu machen, wenn von Seiten
der Sozialdemokraten entsprechende Provokationen kämen. Seipel bat die
Heimwehr, auf Übergriffe zu verzichten, für den Fall von Zusammenstößen
erklärte er sich aber bereit, Militär und Polizei zur Verfügung zu stellen.
Als es zu dem geplanten Putsch schließlich nicht kam, reagierte Italien ver-
stimmt.602
Um die Mitte des Jahres 1929 begann der Aufbau österreichischer Son-
derbeziehungen zu Italien.603 Im Juni reiste mit Waldemar Pabst ein mäch-
tiger Vertreter der Heimwehr nach Rom. Obwohl diese Mission mit Wissen
von Heeresminister Carl Vaugoin erfolgte, war Mussolini mit Österreich un-
zufrieden. Für den 29. September 1929 war ein weiterer Putsch der Heim-
wehr geplant. Wiederum kam ein geplanter Marsch auf Wien nicht zustan-
de.604
Bundeskanzler Schober sprach Ende September 1929 von der Bereini-
gung der „die Beziehungen zwischen Österreich und Italien zeitweise trü-
598 ADÖ 6/886 f.
599 ADÖ 6/916.
600 ADÖ 6/924 und 933; vgl. Kusstatscher-oberKofler, Beziehungen, 312–315.
601 ADÖ 6/938; vgl. Kusstatscher-oberKofler, Beziehungen, 330–332.
602 KereKes, Abenddämmerung, 9–30; K. schuschniGG, Im Kampf, 129 f.
603 colotti, Fascismo, 308; di nolfo, Rapporti, 60; stuhlPfarrer, Außenpolitik, 323.
604 colotti, Fascismo, 313; di nolfo, Rapporti, 61; KereKes, Abenddämmerung, 39–53;
wohnout, Bundeskanzler Dollfuß, 606.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN116
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580