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benden Unstimmigkeiten“.605 Er förderte die Politik der Verständigung mit
Blick auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Österreichs und auf die an-
stehende Verfassungsreform.606 Offener als unter Seipel kamen die italie-
nischen Versuche politischer Einflussnahme auf Österreich zur Sprache,
darunter der Wunsch, der Kanzler möge den Schutzbund auflösen und die
Heimwehr in eine konstitutionelle Partei umwandeln. Mussolini, so Lothar
Egger im Oktober 1929, wünsche die österreichische Regierung in jeder Be-
ziehung zu stärken, denn er wolle nicht von „extrem demokratischen Län-
dern“ umgeben sein; den Verfassungsentwurf billige er, ja wirke überhaupt
versöhnt. Mit Blick auf die dringend erforderliche Anleihe sei dem Duce
versichert worden, dass die österreichische Regierung nach Kräften auf die
kritischen Tiroler Kreise einwirken werde, dass sie aber keine Verfügungs-
gewalt über die Landeshauptleute besitze.607 Auch die Beziehungen faschis-
tischer Kreise zur Heimwehr wurden nicht mehr in Abrede gestellt.608
Immerhin besaß Schober aber genügend Rückgrat, um eine von Mussolini
gewünschte Romreise von der vorherigen Zusage der Anleihe abhängig zu
machen, weil er sie andernfalls in seinem Land nicht rechtfertigen könne.609
Als diese Zusage kam, wurde dem Bundeskanzler aus Rom nahegelegt, mit
ihrer Bekanntgabe die Erklärung zu verbinden, dass die Freundschaft mit
Italien ein wesentliches Element der österreichischen Politik sei.610 Schober
war es indes wichtiger, seine Politik den übrigen europäischen Staaten611
und dem eigenen Parlament zu erklären: Weder habe man Südtirol fallen
gelassen noch hätten Gerüchte, Österreich werde seine Neutralität aufgeben
und sich enger an Italien anlehnen, eine reale Grundlage. Diese Worte wirk-
ten selbst auf oppositionelle Abgeordnete beschwichtigend, aber alle Vorbe-
halte gegen die wirtschaftliche Sanierung Österreichs zum Preis der Anleh-
nung an Italien ließen sich nicht ausschalten. Insgesamt wurde Schobers
Südtirolpolitik besser bewertet als jene Seipels.612 Über den von italienischer
Seite erhobenen Vorwurf einer konservativ-liberalen Gesinnung und eines
zu wenig autoritären Stils613 setzte sich der Kanzler souverän hinweg.
Der angekündigte Besuch in Rom fand vom 4. bis zum 7. Februar 1930
statt. Schober überreichte Mussolini das Große Goldene Ehrenzeichen der
605 ADÖ 6/980; vgl. JedlicKa, Österreich, 54.
606 ADÖ 6/986 und 989.
607 ADÖ 6/983; colotti, Fascismo, 309 f.
608 ADÖ 6/986; colotti, Fascismo, 311.
609 ADÖ 6/985.
610 ADÖ 6/990.
611 ADÖ 6/992; colotti, Fascismo, 317.
612 ADÖ 6/997.
613 colotti, Fascismo, 311–319.
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 117
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580