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Ende September 1930 übernahm Carl Vaugoin die Kanzlerschaft. Auch er
ließ der Heimwehr viel Spielraum.623 Wenige Tage nach der Amtseinführung
brachte er in einem Schreiben an Mussolini seine Bewunderung für dessen
Werk zum Ausdruck und bekundete die eigene Absicht, „auch in meiner Hei-
mat die Grundsätze der Staatsautorität und die durch keinen Klassenkampf
gestörte Volksgemeinschaft ebenso zu festigen, wie es mir im Bundesheer
bereits gelungen ist“.624
Ende März 1931 vernahm Schober, nunmehr Vizekanzler im Kabinett
Ender, aus dem Mund des italienischen Gesandten in Wien eher nüchterne
Worte: Mussolini werde „ohne besondere Erregung die Lage betrachten
und studieren“ und hoffe auch künftig auf gute Zusammenarbeit mit Öster-
reich.625 Der Grund für die Vorbehalte des Duce könnte das Faktum gewesen
sein, dass Ender keinen Heimwehrvertreter in sein Kabinett geholt hatte.626
Überhaupt durchlebte der Wehrverband 1931 eine Krise.627 Vor diesem Hin-
tergrund legte die Zeitschrift StL Wert auf die Feststellung, dass es in Öster-
reich faschistische Einflüsse keineswegs gebe.628
Es war allerdings ein Österreicher, der 1931 in der von Giuseppe Bottai
herausgegebenen Zeitschrift Critica Fascista629 die Partei des Faschisten
Asvero Gravelli ergriff. Der seit 1925 in Rom lebende Schriftsteller Gustav
Glässer setzte sich für den im Jahrzehnt nach dem Marsch auf Rom zum
Kreis der Vertrauten Mussolinis zählenden Journalisten ein, der später
vom Duce fallen gelassen wurde. 1929 erschien erstmals die von Gravelli
gegründete Zeitschrift Antieuropa630, die sich zum Sprachrohr junger, mit
der bisherigen Entwicklung des faschistischen Regimes unzufriedener Kor-
porativisten entwickelte und die Fortführung der faschistischen rivoluzione
über die Grenzen Italiens hinaus forderte.631 Sie popularisierte Gravellis
Überzeugung vom Scheitern der Prinzipien von 1789 und die Ablehnung
des Parlamentarismus und des Völkerbund-Pazifismus.632 Gleich Bottai633
zählte Gravelli bei der Verbreitung faschistischen Gedankenguts im Aus-
land auf die nationalen Eliten, mit denen in „circoli antieuropei“ Kontakt
623 colotti, Fascismo, 322 f.; KereKes, Abenddämmerung, 85.
624 ADÖ 7/1045.
625 ADÖ 7/1091.
626 KereKes, Abenddämmerung, 88.
627 colotti, Fascismo, 328 f.; KereKes, Abenddämmerung, 92 f.
628 StL 1931, 538–542 (W. andreae).
629 thöndl, Oswald Spengler, 45 und 186.
630 scholZ, Italienischer Faschismus, 149–158.
631 scholZ, Italienischer Faschismus, 127.
632 scholZ, Italienischer Faschismus, 159 f.
633 scholZ, Italienischer Faschismus, 97 und 123.
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 119
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580