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gestellte italienische Memorandum, in dem es nicht um rein ökonomische,
sondern um weltanschauliche Fragen gehe. In seinem eigenen, die österrei-
chische Position erläuternden Memorandum habe er die Notwendigkeit or-
ganischer Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft hervorgehoben und
sei für ständische Gliederung und internationale Zusammenarbeit eingetre-
ten. Er schloss seinen Bericht mit der Bemerkung, dass große Teile der Welt
nach wie vor vom Liberalismus erfüllt seien und dass auch die Entwicklung
des Faschismus noch nicht abgeschlossen sei.657
Im Januar 1933 berichtete der österreichische Gesandte in der Tschechos-
lowakei, Ferdinand Marek, Bundeskanzler Dollfuß von einem Besuch Giu-
seppe Bottais in Prag, wo dieser einen Vortrag über Korporativismus ge-
halten habe. Es habe sich auch Gelegenheit zu einer Unterredung mit dem
tschechischen Diplomaten und Historiker Kamil Krofta ergeben, dem zu-
folge die Italiener alles täten, um den französischen Einfluss in Mitteleu-
ropa zurückzudrängen: Österreich möge sich vor der italienischen Expan-
sion in Acht nehmen, denn Italien wolle Ungarn die erste Rolle einräumen
und Österreich allenfalls „mitnehmen“.658 London und Paris hatten ebenfalls
Zweifel an der Zuverlässigkeit Italiens als Garanten der Unabhängigkeit Ös-
terreichs, die in der Folgezeit, als Mussolini die Westmächte immer wieder
brüskierte, noch größer wurden.659
Verstärkte Annäherung zwischen Italien und Österreich
Um die Jahreswende 1932/33, in einer Phase intensiver Bemühungen Itali-
ens um Österreich660, geriet die österreichische Regierung durch einen aus
Italien kommenden Transport von Waffen aus dem Ersten Weltkrieg in
schwere Turbulenzen.661 Obwohl Dollfuß um Beschwichtigung bemüht war,
sprechen die Fakten dafür, dass es sich um eine von langer Hand geplante
Aktion handelte: Die Gewehre waren nicht, wie der Kanzler versicherte, ledig-
lich zur Reparatur – auch um Arbeitsplätze zu schaffen662 – nach Österreich
gebracht worden und sollten wieder retourniert werden663, sondern waren für
die Heimwehr bestimmt; ein Teil sollte nach Ungarn weitergeleitet werden.664
657 StL 1932, 508–513 (R. KerschaGl).
658 ADÖ 8/1257.
659 bertolaso, Die erste Runde, 205–213.
660 schmölZer, Beziehungen, 59–61.
661 KereKes, Abenddämmerung, 121 f.; linder, Waffenaffäre, 64–69 und 86.
662 beer, Anschluss, 165; linder, Waffenaffäre, 59 f.
663 linder, Waffenaffäre, 75 und 79.
664 linder, Waffenaffäre, 50–52 und 81; wiltscheGG, Heimwehr, 354.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN122
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580