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pflichtungen betreffend eine stärkere Beteiligung der Heimwehr an der
politischen Verantwortung ging er indes nicht ein, er versprach aber ein
energisches Vorgehen gegen die Sozialdemokraten.693 Der Duce äußerte sich
kritisch zu manchen Mitarbeitern des Kanzlers, darunter Otto Ender.694
Theodor Hornbostel, der als Dolmetscher fungierte, erinnerte sich später,
Dollfuß sei gegenüber Mussolinis Ratschlägen695 sehr resistent gewesen,
insbesondere sei er keine schriftlichen Verpflichtungen eingegangen. Die
„Legende“, dass sich der Kanzler bei der Planung der Maiverfassung auf
den Duce stützte, müsse dementiert werden.696 Ähnlich klang eine öster-
reichische „Amtserinnerung“, die kurz nach der Unterredung der beiden
Staatsmänner angelegt wurde.697 Auch seinem Parteifreund Josef Reither
gegenüber brachte der Kanzler zum Ausdruck, dass er – wie viele weitere
Österreicher698 – den aus Italien kommenden Druck nicht gutheiße.699 An-
ders hingegen die Wahrnehmung Otto Bauers: „Seit der Begegnung von
Riccione regiert Italien in Wien.“700
Wenige Tage später suchte Starhemberg in Rom den Duce zu einem ener-
gischeren Eingreifen zu veranlassen. In einem anschließenden Schreiben
Mussolinis an Dollfuß war von „Faschisierung des österreichischen Staa-
tes“ die Rede; er empfahl die Entlassung des Innenministers Franz Winkler
(Landbund), eines Kritikers der Heimwehr und Anschluss-Befürworters701,
dessen ständisches Konzept demokratischer und föderalistischer war als das
des Kanzlers.702 Nach Winklers Einschätzung wünschte sich Starhemberg
den Faschismus als Staatsform für Österreich – eine Aussage, von der sich
der Heimwehrführer distanzierte.703
Franz Winkler war einer von jenen österreichischen Politikern, deren Prä-
senz in der Regierung auch in Eugenio Morreales Augen nicht wünschens-
wert war; er ortete bei ihm eine gewisse Nähe zur Sozialdemokratie. Die
Regierungsumbildung im September 1933, in deren Zug Winkler und Carl
derlage, 67 und 118; Kindermann, Österreich, 187; schmölZer, Beziehungen, 125–127; K.
schuschniGG, Im Kampf, 146 f.; wohnout, Bundeskanzler Dollfuß, 617.
693 O. bauer, Werkausgabe 3, 975.
694 KereKes, Abenddämmerung, 156 f.
695 maderthaner/maier, Der Führer, 37–40.
696 hornbostel, Fremde Einflüsse, 136; vgl. auch GoldinGer/binder, Geschichte, 209 f.
697 K. schuschniGG, Im Kampf, 147.
698 schmölZer, Beziehungen, 109.
699 reichhold, Geschichte, 448 f.
700 O. bauer, Werkausgabe 3, 976.
701 P. berGer, Im Schatten, 534; Karner, Steiermark, 31; KereKes, Abenddämmerung, 158 f.
702 reiter-ZatlouKal, Parlamentarismus, 41–44; stimmer, Eliten, 662 f. und 772.
703 britZ, Die Rolle, 62. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN126
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580