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In diesem Standpunkt kommen Vorbehalte der Westmächte gegen Italien
zum Ausdruck, die vor allem auf dessen imperialen Absichten gründeten.754
Österreich war über die zunehmende politische Isolation des südlichen
Nachbarn besorgt.755
Besonderen Wert auf die Pflege guter Beziehungen zu Italien legte Star-
hemberg; die Politik des Deutschen Reichs kritisierte er hingegen auf das
Schärfste. In einem Interview am 21. Mai 1935 sprach er mit Bezug auf Süd-
tirol von einem Verrat des Nationalsozialismus am Deutschtum. Die öster-
reichische Regierung habe am Schicksal der Deutschen in Südtirol wärmstes
Interesse.756 Eine sehr negative Sicht der Politik Deutschlands ist auch den
Äußerungen Richard Schüllers zu entnehmen. Hinsichtlich der mangeln-
den Vertrauenswürdigkeit Hitlers und seines engeren Umfelds war er einer
Meinung mit Fulvio Suvich, der sich 1935 in Berlin für die Unabhängigkeit
Österreichs einsetzte.757 Kurz nach einem neuerlichen Treffen Schuschniggs
mit Mussolini in Florenz im Mai758 betonte auch der CS nachdrücklich, wie
sehr Italien an Österreichs Selbständigkeit interessiert sei.759
Den in Wien gehegten Hoffnungen auf Italien steht indes das Faktum
entgegen, dass Mussolini ab 1935 aufgrund anderer Prioritäten die Bereit-
schaft entwickelte, Österreich fallen zu lassen.760 So klang denn auch bereits
im Juni die Berichterstattung des CS verhaltener: In Äußerungen sowohl
Hitlers als auch Mussolinis wurden Zeichen geortet, dass Europa gegenüber
Deutschland zum Einlenken bereit sei, und man verschloss sich auch nicht
der Einsicht, dass im Stresa-Block Risse zu erkennen seien. Mussolini, der
„doch ziemlich eindeutige Worte über Österreich“ gesprochen habe, wurde
mit dem Satz zitiert, zwischen Italien und Deutschland stehe „in der Tat
nichts als Österreich“.761 Angesichts eines drohenden Kriegs Italiens in Ost-
afrika klammerte man sich aber an die Hoffnung, der Duce werde tatsäch-
lich, wie angekündigt, die kolonialen Ambitionen Italiens mit dem Wunsch
Österreichs nach Unabhängigkeit auf eine Stufe stellen; es sei falsch, Ita-
lien diese Ambitionen ausreden zu wollen, und man dürfe Mussolinis poli-
tischem Genie vertrauen.762 Aber auch Bundeskanzler Schuschnigg erhielt
Beifall: für seinen Hitler gegenüber zum Ausdruck gebrachten Einsatz für
754 Vgl. dazu woller, Geschichte, 131–142.
755 orlando, Rolle, 39–42; woller, Geschichte, 142–145.
756 starhemberG, Reden, 47–49.
757 nautZ, Unterhändler, 148.
758 schmölZer, Beziehungen, 171–173.
759 CS 19. 5. 1935; zur positiven Bewertung von Stresa vgl. schmölZer, Beziehungen, 169 f.
760 ara, Österreichpolitik, 116 f.; di nolfo, Rapporti, 74–77.
761 CS 2. 6. 1935.
762 CS 2. 6. 1935. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN132
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580