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Zum Jahreswechsel 1935/36 schickte Starhemberg Mussolini ein Glück-
wunschtelegramm, im Frühjahr 1936 sprach er aber seine Sorge über die
nach dem Abessinienkrieg erkennbare Annäherung zwischen Italien und
Deutschland aus.775 Er neigte dazu, als treibende Kraft nicht Mussolini, son-
dern Hitler zu betrachten.776 Der Duce hingegen war jetzt schon so weit, dass
er sich sich bei einem Treffen mit dem deutschen Botschafter am 7. Januar
1936 für ein deutsch-österreichisches Abkommen aussprach, das die Unab-
hängigkeit Österreichs sichern solle. Am 22. Februar bestätigte er den Ab-
bau der italienischen Schutzfunktion.777
Die Version, dass der politische Richtungswechsel von Deutschland aus-
ging, verbreitete auch der CS.778 Dietrich von Hildebrand unternahm alles,
um Italiens Anspruch auf Abessinien zu rechtfertigen und die Sanktionen
des Völkerbunds zu verurteilen. Diese träfen nicht in erster Linie den Fa-
schismus, so eine nicht unkritische Facette, sondern das italienische Volk
– und somit den Träger einer Kultur, die dem christlichen Abendland viel
geschenkt habe und, anders als das nationalsozialistische Deutschland, wei-
ter an dieser Tradition festhalte. Aus diesem Grund könne man Italien und
Abessinien, nur weil sie Mitglieder des Völkerbunds seien, nicht als „gleich-
wertige Größen“ behandeln.779 Dass bei der Beurteilung des Abessinien-
kriegs auch unterschiedliche Auffassungen über das Wesen der Kultur eine
Rolle spielten, war der dem Herausgeber sehr willkommene Tenor eines im
CS erschienenen Artikels.780
Im März und im April 1936 wurde wieder Eugenio Morreale zu Beiträ-
gen eingeladen: Neuerlich beteuerte dieser, dass Österreichs Unabhängigkeit
„derzeit“ nicht gefährdet sei. Das Land befinde sich in einer Konsolidierungs-
phase, „die eine sehr delikate Arbeit geistiger und materieller Organisation
erheischt“. Letzte Reste einer Anschlusspropaganda an Deutschland müssten
ausgemerzt werden. Zwar denke Italien als Garant der österreichischen Un-
abhängigkeit auch an die eigenen Interessen, es habe diese Aufgabe aber „mit
einem Geist innerer Solidarität“ übernommen.781 Die britische Haltung im
Abessinienkonflikt unterzog er harscher Kritik.782
775 schmölZer, Beziehungen, 188 f.; woller, Geschichte, 147.
776 britZ, Die Rolle, 121; orlando, Rolle, 64.
777 ara, Österreichpolitik, 111 f.; schmölZer, Beziehungen, 191–196; G. stourZh, Außenpolitik, 327.
778 CS 26. 1. 1936 (F. Klein).
779 CS 23. 2. 1936 (D. v. hildebrand); im Rahmen der Österreichischen Akademie referierte
Hildebrand im Mai zum Thema Österreich und der italienische Kulturkreis; h. schusch-
niGG, Die Österreichischen Akademien, 243.
780 CS 28. 6. 1936 (R. steffens).
781 CS 8. 3. 1936 (E. morreale).
782 CS 12. 4. 1936 (E. morreale). 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN134
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580