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Italien auch um theoretische Verankerung seines Systems bemüht sei. Zen-
trale Bedeutung maß er Büchern bei, die Thesen wie die vom Faschismus
als Staatssozialismus bzw. banale Tyrannei zurückwiesen, das faschistische
Pressewesen lobten, die Gesetzgebung als Ausfluss einer Idee und nicht als
Folge des Gesellschaftsvertrags würdigten, die Einheit von Individuum und
Staat annahmen und die Gesellschaft nicht als biologische Einheit, sondern
als geistige Ganzheit verstanden. Als bedeutendstes Werk über den Faschis-
mus in deutscher Sprache würdigte er jenes von Walter Heinrich, das die
faschistische Wirklichkeit mit deutschem Ideengut in Verbindung bringe.
Außerdem legte er Wert darauf, der deutschen Leserschaft die einschlägigen
italienischen Fachzeitschriften bekannt zu machen. Besondere Aufmerk-
samkeit schenkte er einer Arbeit von Carlo Costamagna über das faschis-
tische Korporativrecht: Die darin vorgenommene Überwindung des Indivi-
dualismus in der Staatslehre und die Ablehnung des Kapitalismus fanden
seinen Beifall, er beanstandete aber, dass den Ständen zu wenig Eigenleben
gelassen werde.872
Ebenfalls 1931 kam Costamagna, vom Herausgeber als „hervorragender
Gelehrter und Politiker“ gewürdigt, in einem rund zehnseitigen Artikel auch
selbst zu Wort. Ausgehend von harscher Kritik an der Zerstörung geistiger
Kräfte durch Rationalismus, Individualismus und Positivismus und von der
Ablehnung der Lehre von der Volkssouveränität, lobte er Mussolinis Staat
als durch Intuition wahrgenommene gesellschaftliche Wirklichkeit. Es sei
ein echter, souveräner, hierarchisch aufgebauter, als Endzweck verstande-
ner Volksstaat, der sich als solcher sowohl von der älteren Staatsnation als
auch von der kulturellen Nation unterscheide. In ihm verstehe sich das Indi-
viduum (einschließlich der Regierenden) als bloßes Mittel. Von besonderem
Interesse ist Costamagnas Verständnis des Korporativismus: Man dürfe den
Begriff nicht mit syndikaler Organisation als rein wirtschaftlichem Faktor
verwechseln, sondern müsse ihn als Ausdruck vollkommener Entsprechung
von rechtlicher Organisation und politischer Anforderung verstehen. So
werde der Faschismus zur vollständigen („totalitaria“) Demokratie, die alle
Schichten menschlicher Tätigkeit vereine, aber Privilegien ablehne und Kas-
ten nicht kenne.873
Ein weiterer Theoretiker, der die Korporationen geradezu glorifizierte,
war Giuseppe Renzetti. 1932 erläuterte er im StL, der Faschismus habe dem
nach dem Ersten Weltkrieg am Rand der Anarchie befindlichen Italien nicht
nur eine materielle und wirtschaftliche Erneuerung gebracht, sondern, was
wichtiger sei, einen moralischen Aufstieg. Die von ihm erbrachte Integrati-
872 StL 1931, 527–537 (R. sPann).
873 StL 1931, 566–575 (C. costamaGna).
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 147
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580