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tischen und positivistischen Philosophie eine demokratische Staatsauffas-
sung entspreche. Mussolini sei ein großer Denker und eine „providentielle
Persönlichkeit“, zu viel mehr fähig als zu bloßem Aktionismus: Dessen 1932
erschienenes Werk Dottrina fascista wolle er denn auch als Hauptquelle für
seine Arbeit heranziehen (S. 1–4). Menzel stützte sich indes auch auf andere
Quellen bzw. flocht seine umfassende philosophisch-historische Bildung ein.
Im ersten von insgesamt sieben in sich weiter gegliederten Kapiteln (Die
Weltanschauung des Faschismus, S. 5–20) wurde Mussolini zwischen Tra-
dition und Fortschritt verortet. Zugrunde lagen die Ablehnung materialis-
tischer Erklärungen des Menschen und der Auffassung, der Geist wäre le-
diglich eine Funktion des Gehirns. Eudämonistische Ethik mit dem Ideal
eines bequemen Lebens wies Menzel zurück; „wirtschaftliche Glückseligkeit“
in sozialistischem Sinn komme einem rein vegetativen Leben gleich. Echtes
Leben bedeute Kampf, und daher könne, so ein würdiger Zweck erkennbar
sei, selbst Gewalt nicht grundsätzlich abgelehnt werden. Obwohl sich der
Faschismus als Diesseitsreligion verstehe (an die höchsten weltlichen Güter,
Nation und Staat, müsse man „glauben“), lehne er positive Jenseitsreligio-
nen nicht ab. Daher schütze er die katholische Kirche, mit der er auch durch
die Hochschätzung von Autorität und Hierarchie verwandt sei.
Quellflüsse der faschistischen Weltanschauung (S. 21–41) ortete Menzel in
der Antike, insbesondere bei Heraklit, sodann bei italienischen Denkern wie
Giambattista Vico, Antonio Rosmini und Vincenzo Gioberti. Benedetto Croce
und Giovanni Gentile hätten an Hegel angeknüpft, Vilfredo Pareto und Ge-
orges Sorel könnten in wirtschaftlich-gesellschaftlicher Hinsicht Vorbilder
sein. An Kant schätzte er den Pflichtbegriff, an Fichte die Idee der Kulturna-
tion, an Nietzsche den Willen zur Macht, an Henri Bergson die Ablehnung
eines starren Mechanismus.
Als Die polemische Seite der faschistischen Staatslehre (S. 42–52) be-
schrieb Menzel den Kampf des Faschismus gegen Individualismus, Libera-
lismus und Sozialismus. Damit sei die Ablehnung der Demokratie einherge-
gangen, die auf der irrigen Annahme der Gleichheit aller Menschen beruhe;
das Majoritätsprinzip sei anfechtbar, die Volkssouveränität eine Illusion.
Der Faschismus erhebe den Anspruch, eine „wahre Demokratie“ und keine
„Formaldemokratie“ zu sein, die das Volk nicht quantitativ, sondern qualita-
tiv fasse. Während der Sozialismus das Ökonomische einseitig überbewerte
und Klassenkampf betreibe, gleiche der Korporativismus Ungleichheiten
aus.
Gegenstand des vierten Kapitels ist Der positive Gehalt des faschistischen
Staatsgedankens (S. 53–80). Im Zentrum dieses Herzstücks der Abhand-
lung steht der als Organismus verstandene Staat, den Mussolini als oberste
Ganzheit und einzige absolute, von der Gesellschaft nicht geschiedene und
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 153
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580