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weise mit Blick auf die Sozialstruktur der Bevölkerung erfolgte. Während
die Repräsentation der Bundesländer1042 und, in geringerem Maße, die Wirt-
schafts- und Berufsstruktur Berücksichtigung fanden, wurden soziale Her-
kunft, Bildung und Alter kaum zu entscheidenden Kriterien.1043 Besonders
krass war das Missverhältnis beim Geschlecht.1044
Rund 50 Prozent betrug der Anteil der Mandatare mit Hochschulab-
schluss1045; im SR, im LR und im BKR besetzten die Akademiker rund 80
Prozent der Stellen. Die meisten waren Juristen, gefolgt von Geisteswissen-
schaftern und Technikern.1046
Im SR wirkte eine intellektuelle und Verwaltungselite, darunter viele
Großgrundbesitzer und Freiberufler. Der BKR war eine Versammlung von
Fachleuten, häufig aus den Bereichen Wissenschaft und Kunst1047, die, so-
fern überhaupt Politiker, eine unabhängige Karriereentwicklung hinter sich
hatten und für die politische Funktionen keinen Karrieresprung bedeuteten.
Hier fanden sich am wenigsten eigentliche homines novi.1048 Viele Bundes-
kulturräte waren Neopolitiker1049, darunter klassische „Unpolitische“, die
sich, wenn auch für das Tagesgeschäft wenig geeignet, zu grundsätzlichen
Überlegungen berufen fühlten.
Von den 66 Mandataren, deren schriftliche Hinterlassenschaft Gegen-
stand der Analyse der vorliegenden Studie ist, gehörten 25 dem SR, je 17
dem BKR und dem BWR und 7 dem LR an. 25 waren auch Mitglieder des
BT. Das Bedürfnis, in ihren Schriften Grundsätzliches festzuhalten, war auf
Seiten der Mandatare, gemessen an der Gesamtstärke des Organs, bei den
Mitgliedern des BKR am größten, gefolgt von jenen des SR. Allerdings präg-
1042 Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde waren Salomon Friedrich Frankfurter und
Desider Friedmann, die evangelischen Christen AB repräsentierten Victor Capesius und
Erich Stoekl; enderle-burcel, Mandatare, 51 f., 77 f. und 231 f.; reinGrabner, Eine Wie-
ner Predigt, passim; G. P. schwarZ, Ständestaat, 56; wohnout, Verfassungstheorie, 290.
1043 Kraus, „Volksvertreter“, 27.
1044 bandhauer-schöffmann, Männerstaat, 258; Grafeneder, Arbeiterfamilie, 71; wohnout,
Verfassungstheorie, 308–314; nur in zwei Fällen wurden Frauen berufen, beide in den
BKR: Die 1906 in Wien promovierte Klassische Philologin Henriette Sieß (Dissertation:
De fabularum Sophoclearum aetate, nicht auffindbar) war Direktorin eines Gymnasiums;
Margarete Rada, die 1931 mit der von der Psychologin Charlotte Bühler (zu ihr vgl. bre-
ZinKa, Pädagogik, 389–391) angeregten Studie Das reifende Proletariermädchen das Dok-
torat erworben hatte, leitete eine Hauptschule; wohnout, Regierungsdiktatur, 229.
1045 tálos, Herrschaftssystem (2013), 97.
1046 Kraus, „Volksvertreter“, 194–196 und 275 f.; wohnout, Regierungsdiktatur, 218.
1047 Kraus, „Volksvertreter“, 239 und 275 f.
1048 Kraus, „Volksvertreter“, 247.
1049 Kraus, „Volksvertreter“, 277; steiner, Wahre Demokratie?, 192 f.; wohnout, Verfassungs-
theorie, 294.
3.8 DIE ORGANE DER BUNDESGESETZGEBUNG UND IHRE BESETZUNG 169
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580