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Nach 1918
„Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
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Der von der Maiverfassung vorgesehene Wahlmodus, nämlich die Bestel- lung der Mandatare durch die Stände, war in den Augen von Josef Dobrets- berger Ausdruck von Ehrlichkeit und Geradlinigkeit, politisch korrekter als die Wahlen zum deutschen Reichstag 1933 oder die italienischen Senats- wahlen 1934, die keine echten Wahlen gewesen seien, „nicht anders zu wer- ten als Propagandazüge oder Häuserbeflaggungen“. Demokratische Wahlen bildeten lediglich die Stimmung eines einzigen Tages ab, und die Mandatare fühlten sich ohnehin nicht an den Volkswillen gebunden.322 Außerdem, er- klärte der Volkswirt in aristotelischer Tradition, sei „die Zeit, die das arith- metische Mittel aus zwei Anschauungen für eine Lösung hielt“, vorüber323, und gab zu bedenken, es gebe „Forderungen, die sich nicht halbieren lassen“. Besser als die Arithmetik sei die politische Geometrie: Die Stärke einer Par- tei beruhe auf deren Ideen, nicht auf der Zahl der Anhänger; würden, wie es im parlamentarischen System der Fall sei, für wirtschaftliche Vorteile welt- anschauliche Konzessionen gemacht, komme es zu einem zermürbenden „Stellungskrieg“ der Parteien, der häufige Neuwahlen erforderlich mache.324 Auch Konstantin von Hohenlohe sah in der Anpassung an den „arithmeti- schen Mehrheitswillen“ eine Gefahr: Überzeugt von der Wichtigkeit des Be- rufenseins der Staatsführer, hielt er allenfalls ein negatives Einspruchsrecht gegen die staatliche Gewalt für gerechtfertigt; sklavischer Ausführer des Volkswillens sollte diese nicht sein.325 Hans Karl Zeßner-Spitzenberg sprach von einer „plumpen Herrschaft der Zahl“, die es in der konstitutionellen Monarchie in dieser Form nicht gegeben habe.326 Hermann Roeder schrieb das „Gesetz der größeren Zahl“ einer „fadenscheinigen Jakobinerlogik“ zu; Rousseau sei einem grundlegenden Irrtum erlegen, wenn er geglaubt habe, der Überstimmte habe sich einfach geirrt. Der Gesamtwille sei nicht der der Mehrheit, sondern der den Sacherfordernissen entsprechende.327 Die Massen, so das NR, fasziniere eher „ein eigenartiger Magnetismus“ der Autokraten. Es sei daher verständlich, wenn, so unter Berufung auf eine Schweizer Zeitung, in Paris bereits eine „Liga gegen die Politiker“ im Entste- hen sei, um die Entartung der Demokratie zur Ochlokratie zu verhindern.328 Diese Gefahr bestehe auch deshalb, weil, worauf Oswald Spengler hinweise, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ein Prozess der Aushungerung jener Schicht im Gang sei, welche die materiellen Voraussetzungen hätte, erziehe- 322 dobretsberGer, Vom Sinn, 34–38. 323 dobretsberGer, Vom Sinn, 9; vgl. PiePer, Über die Gerechtigkeit, 82–84. 324 dobretsberGer, Vom Sinn, 29–32. 325 hohenlohe, Ständestaat, 8; vgl. KluGe, Ständestaat, 51; streitenberGer, Leitbild, 214 f. 326 NR 29. 8. 1920 (H. K. Zeßner-sPitZenberG). 327 StL 1935, 59 (H. roeder). 328 NR 10. 2. 1923. 4.2 KRITIK AN DER PARLAMENTARISCHEN DEMOKRATIE 209
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„Berufsstand“ oder „Stand“? Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Title
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Subtitle
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Author
Erika Kustatscher
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien - Köln - Weimar
Date
2016
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20341-4
Size
17.4 x 24.6 cm
Pages
682
Keywords
Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. Abkürzungen und Siglen 17
  3. 1. Das Erkenntnisinteresse 19
    1. 1.1 Die geltende Meistererzählung – und was sie offen lässt 20
    2. 1.2 Stand: Der begriffliche Ausgangspunkt 33
    3. 1.3 Das Arbeitsvorhaben 38
  4. 2. Zur Methode 45
    1. 2.1 Der diskursanalytische Ansatz 45
    2. 2.2 Literarische und autobiographische Texte 52
    3. 2.3 Das Textcorpus 55
  5. 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
    1. 3.1 Österreich 1918–1938 59
    2. 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
    3. 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
    4. 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
    5. 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
    6. 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
      1. 3.7 Die Verfassung vom 1. Mai 1934 163
    7. 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
    8. 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
  6. 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
    1. 4.1 Das „Erbe“ von 1789: Die Französische Revolution als „Urgrund“ von Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus und Marxismus 182
    2. 4.2 Kritik an der parlamentarischen Demokratie 193
  7. 5. Der Mensch ist Person 211
    1. 5.1 Für Freiheit und Menschenwürde 211
    2. 5.2 Individualität versus Individualismus 213
    3. 5.3 Freiheit und Ordnung 215
    4. 5.4 Leben und Geist 227
    5. 5.5 Persönlichkeit und Gemeinschaft 256
    6. 5.6 Kultivierung personaler Werte 265
    7. 5.7 Legitimität versus Legalität 287
  8. 6. Standesbewusstsein 301
    1. 6.1 Semantische Unschärfen 301
    2. 6.2 Exkurs: „Stand“ bei Othmar Spann 303
    3. 6.3 Der Stand und das Standesgemäße 306
    4. 6.4 Adel in der Bewährung 323
    5. 6.5 Bauerntum als Ideal 329
    6. 6.6 Die Familie 354
    7. 6.7 Heimatbewusstsein versus Nationalismus 375
    8. 6.8 Österreichbewusstsein versus Nationalsozialismus 396
  9. 7. Die berufsständische Ordnung 435
    1. 7.1 Vorläufige Begriffsbestimmung 435
    2. 7.2 Die christlich-soziale „Gesellschaftsreform“ aus der Sicht der Mandatare 437
    3. 7.3 Exkurs: Das Genossenschaftswesen 439
    4. 7.4 Aspekte der berufsständischen Ordnung 442
    5. 7.5 Probleme der berufsständischen Ordnung 458
    6. 7.6 Stände jenseits der Berufe 480
  10. 8. Staat und Gesellschaft 487
    1. 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
    2. 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
    3. 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
    4. 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
    5. 8.5 Das Autoritäre 503
    6. 8.6 Schul- und Volksbildung 511
    7. 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
  11. 9. Resümee: status ist ordo 527
  12. 10. Anhang 541
    1. 10.1 Mandatare, die für die Fragestellung der vorliegenden Studie relevante Schriften hinterließen 541
    2. 10.2 Mandatare, die mit eigenen Beiträgen in den genannten Periodika vertreten waren 545
    3. 10.3 Ständetheoretiker 546
    4. 10.4 Verfasser ergänzend herangezogener Texte 553
  13. 11. Quellen und Literatur 580
    1. 11.1 Quellen zur politischen Geschichte 580
    2. 11.2 Zeitgenössische Periodika 581
    3. 11.3 Monographische Arbeiten und vermischte Beiträge der Mandatare 595
    4. 11.4 Ständetheoretische und ähnliche Arbeiten 601
    5. 11.5 Ergänzende Quellen 603
    6. 11.6 Forschungsliteratur 607
    7. 11.7 Internetquellen 664
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