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Vorbehalte gegen die „Hypertrophie der Organisation“ und die Ablehnung
alles Gewaltsamen, Künstlichen, von außen Aufgedrängten, stattdessen die
Sehnsucht nach dem Gewachsenen91 sind in der Tat zentrale Aspekte des
personalistischen Freiheitsbegriffs. Auch in diesem Fall hatten durch die
Französische Revolution initiierte Phänomene den Anstoß gegeben, insbe-
sondere der Übergang zur Sicht des Staates als etwas willentlich Geschaf-
fenes, menschlicher Disposition Unterstehendes.92 Bloße Organisation, so
Anton Klotz, mache noch keinen Organismus aus.93 Der CS lobte die por-
tugiesische Verfassung, die sich durch auffallend knappe Bestimmungen
auszeichne.94 Die MSchKP warnte vor der Nachahmung italienischer und
deutscher Vorbilder im Bereich der Jugendarbeit und der Freizeitgestal-
tung, weil andernfalls Gleichschaltung drohe: Der Österreicher liebe zwar
„zuchtvolle Strammheit“, verabscheue aber „geistlose(n) Drill“.95 Philipp Bu-
gelnig bezeichnete „Organisation“ als etwas vom Menschen, „Organismus“
als etwas von der Natur Geregeltes.96 Wilhelm Röpke warnte vor Organisa-
tion „nach irgendwelchen Vernunftpostulaten“97 und gab zu bedenken, dass
übermäßige Normierung das natürliche Normempfinden „verbildet“, nor-
male Reaktionen beeinträchtige.98
Johannes Messner unterstrich die Gültigkeit von derlei Prinzipien in der
Wirtschaft: Als Grundsatz habe zu gelten, „dass berufsständische Ordnung
ebenso ein System der Freiheit ist, wie sie ein System von Bindungen ist“.
Den Wünschen nach Organisation sei entgegenzuhalten: „Es gibt auch eine
Verpflichtung zur Freiheit.“ Ein gewisses Ausmaß an Freiheit im Wirtschafts-
leben müsse man „um des Gemeinwohls willen gegenüber einem ständisch
verbrämten Gruppenindividualismus fordern“. Der Wirtschaft drohten große
Gefahren, wenn Organisation an die Stelle der Ordnung gesetzt werde.99
Kosmos versus Chaos
Ordnung galt als etwas mit Freiheit untrennbar Verbundenes. Den phi-
losophischen Rahmen der einschlägigen Äußerungen bildete das 1930 er-
91 v. hildebrand, Memoiren, 191.
92 GG 4 (1978), 561–579 (Organ, E.-W. böcKenförde).
93 KlotZ, Sturm, 49.
94 CS 2. 9. 1934 (A. müller).
95 MSchKP 2, 934 f.
96 buGelniG, Der Ständestaat, 10.
97 habermann, Das Maß, 108.
98 habermann, Das Maß, 44.
99 MSchKP 1, 15 f. (J. messner). 5. DER MENSCH IST
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580