Page - 225 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Image of the Page - 225 -
Text of the Page - 225 -
nicht mehr achteten“.140 Der Begriff der Klarheit rückte für ihn in die Nähe
zu dem der Wahrheit141, und sein ganzes Leben lang beschäftigte ihn der Ge-
danke des ordo, der sich einem Schöpfergott verdanke.142
Äußerer Ausdruck des ordo waren bei Henz eine gewisse stilistische Ver-
schachtelung („die allerdings ‚primitiven Landsknechten’ zu kompliziert“
sei143) und formale Strenge.144 Demselben Geist entsprang Dietrich von Hilde-
brands Kritik an einer 1932 gehaltenen Rede des Industriellen Fritz Thyssen
gegen den Faschismus, die eine Apologie des Nationalsozialismus gewesen sei:
Er „brachte alles in ganz primitiver Form vor, sowohl in der Formulierung der
Sätze, wie in der Verwendung von Fremdwörtern – er wirkte völlig naiv.“145
Diese Bemerkung war dem klassischen Bildungsideal geschuldet, demselben,
das auch dem (anonymen) Berichterstatter über eine Rede Kurt Schuschniggs
über Österreich als Bollwerk des Abendlands im Jahr 1935 die Feder führte:
Er lobte die subtile Sprachbeherrschung des Bundeskanzlers, die sich aller-
dings „über das leichte Verständnis der großen Masse“ erhebe. Gerade in einer
Zeit „der von tausend Parteirednern und überschrienen Lautsprechern miss-
handelten deutschen Sprache“ sei es erfreulich, dass die Rede im Ausland gut
aufgenommen worden sei, „in einer Geisteswelt [...], wo Begriffe verstanden
und gewürdigt werden, die nicht die der Gosse oder des Urwaldes sind“.146
Im Bereich der Pädagogik fand das Bekenntnis zum Geordneten im Un-
terricht der Alten Sprachen ein reiches Betätigungsfeld. Für Richard Meis-
ter war deren Erlernung gleichbedeutend mit geistiger Schulung, der Zu-
gang zur „Stufenordnung und Harmonie“ des Kosmos.147 Die tägliche Arbeit
grammatischer Analyse bestehe im steten Zergliedern gegebener und im
Bilden neuer Komplexe, verbunden mit der Erfassung der Beziehungen zwi-
schen den Gliedern und der Glieder zum Ganzen. Ziel sei das Erfassen von
Gegenständen höherer Ordnung, über die wir zu urteilen haben148, also ein
Anliegen, das auch Wertbewusstsein erfordere.149
Dass derlei Einschätzungen keineswegs nur zeitgebunden waren, zeigt
die hohe Bedeutung, die Wolfgang Höfler noch in den späten siebziger Jah-
ren der auch von ihm als Abbild des Kosmos verstandenen Sprache als We-
140 henZ, Peter Anich, 39 f.
141 O. M. fontana, Einleitung, 7.
142 wöGerer, Innere Emigration, 122; suchy, Utopie, 249.
143 henZ, Fügung, 183.
144 wöGerer, Innere Emigration, 77.
145 v. hildebrand, Memoiren, 12.
146 CS 9. 6. 1935; vgl. carsten, Faschismus, 249 f.; noser, Die historische Tragik, 218.
147 meister, Humanismus, 142.
148 meister, Bildungswerte, 12.
149 meister, Bildungswerte, 17.
5.3 FREIHEIT UND ORDNUNG 225
back to the
book „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit"
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580