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humanistischer Bildung glaubten, dass Persönlichkeitsbildung den Einzel-
nen isoliere und außerhalb der Gemeinschaft stelle.502 Für besonders wich-
tig hielt er die Vermittlung der Pflichten, die jedem Glied der staatlichen
Gemeinschaft obliegen – freilich ohne die Gefahr der Überordnung der Ge-
meinschaft über die Person aus dem Auge zu verlieren. Das Verhältnis Staat
– Staatsbürger könne nicht nach einer für alle gleich lautenden Formel be-
stimmt werden.503
Entsprechend sorgsam bemühte sich Meister um die Austarierung des
Verhältnisses der erziehenden Instanz zum zu Erziehenden und – auf höhe-
rer Ebene, der für ihn wichtigeren504 – das der heranwachsenden Generation
zur überkommenen Kultur. Er befürwortete einen Mittelweg zwischen straf-
fer Formung und bloßer „Pädagogik vom Kinde aus“, zwischen „Autorität und
Freiheit“.505 Erziehung definierte er als „die planmäßige Führung der heran-
wachsenden Generation durch die erwachsene bei der Auseinandersetzung
mit der überkommenen Kultur“.506 „Führung“ sei die Mitte zwischen „For-
mung“, die sehr weit reiche, und bloßer „Entwicklungshilfe“, die zu wenig
biete, zwischen „Befreien und Binden“: „Autoritätslose Erziehung ist eine Un-
möglichkeit, autoritäre Erziehung bis über die ganze Reifezeit hinweg wäre
eine Vergewaltigung des Entwicklungsganges des jugendlichen Menschen.“507
Auch für Richard Schmitz war „erziehen“ gleichbedeutend mit „führen“,
„gewiss auch wachsen lassen, aber das Wachsen zugleich führen“.508 Ver-
wirklichung fand dieses Konzept u. a. an der Stella Matutina in Feldkirch,
deren Zögling Kurt Schuschnigg gewesen war. Der nachmalige Bundeskanz-
ler hielt es der Jesuitenschule sehr zugute, dass „die egozentrische Einstel-
lung, die die Natur uns mitgab, abgetönt und umgewandelt“ worden sei:
„Wir haben an der Stella gelernt uns einzufügen, zu dienen um einer größe-
ren Gemeinschaft willen.“509
Margarete Rada unternahm in ihrer Studie über Proletariermädchen
den Versuch, 11- bis 13-jährigen Mädchen aus einem Wiener Arbeiterbezirk
502 meister, Humanismus, 27; vgl. KainZ, Hauptprobleme, 88 f.
503 meister, Das Verhältnis, 39–41.
504 Wolfgang Brezinka beeinspruchte Meisters Sichtweise, das Subjekt der Erziehung liege
nicht in der Person, sondern in der Generation, also in einem durch Abstraktion gebildeten
Kollektiv. Seine Verwendung der Begriffe „Weltanschauung“ und „Kultur“ sei naiv, weil
er die Situation der wertpluralistischen und individualisierten Großgesellschaften nicht
berücksichtigt habe; breZinKa, Pädagogik, 448–451.
505 meister, Beiträge, 47.
506 meister, Beiträge, 49.
507 meister, Beiträge, 181–183.
508 Zit. nach Karoshi, Die Erinnerung, 26; vgl. sorGo, Schulpolitik, 192.
509 Zit. nach hoPfGartner, Schuschnigg, 27 f.; zu Schule und Heim ebd., 19–28; vgl. hörburGer/
Simonic, Lehrbuch I, 217. 5. DER MENSCH IST
PERSON262
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580